Wandernde Gespräche – Ohnmächtige Worte

Wer schon länger in Ausserrhoden lebt und Literatur wahrnimmt, erinnert sich an Arthur Steiner als Pfarrer von Stein. Seit 1988 wohnt Steiner zwar in Winterthur, aber in der Appenzeller Anthologie musste er selbstverständlich Platz finden – selten hat einer so lebensnah und doch kunstvoll, so scheinbar einfach und doch stets überraschend die Welt und allem voran die Natur ins Gedicht gefasst. Wie hier im bisher jüngsten Lyrikband Ausgelassen die Stille (2012):

Die Bäume nachten ein
Ein paar Blätter
beschreiben den Himmel

Die Telefondrähte
sind hier noch nicht
in die Erde verlegt

Mit blossem Auge
siehst du
die Gespräche wandern.

Der Liebe hat Steiner ein paar Jahre zuvor, 2009 einen ganzen Gedichtband gewidmet. Das Titelgedicht lautet:

Die Liebe
läuft den Hang
hinauf.

Sie bleibt stehen
ohne Grund.

Es ist die Aussicht
sagt sie.

Die Hügel
die Wälder
das Meer.

So weit also ist der Horizont der Liebe… Rainer Stöckli schrieb im Nachwort zu Die Liebe läuft den Hang hinauf unter anderem:

Arthur Steiner gewinnt der Liebesredekunst zwei eigene Sageweisen ab: er benennt Areale, in welchen das Lieben statthat bzw. Statt findet; und er probt Gesten, die zwischen Liebendem und Liebender, auch zwischen Lyriker und Leserin vermitteln.
Areale: der Garten, das Wiesland, ein Baumbestand, der Wipfel; Wohnung, Dach, Hausumschwung («das Freie»); das Café; der Hang, der Berg, ein Ort unter Mond oder Sonne.
Gesten: aufschauen, aufspringen, zurufen, entgegenkommen, ins Gras bitten, nebeneinander gehen, zur Seite liegen, Geschichten lesen, Baumfrüchte pflücken, Ohrringe kaufen, das Mass suchen, die Haut salben – und Verblüffenderes wie «ein Lufthaus bauen» oder «den Leib waschen» so, dass er an einer Schnur aufzuhängen sei, damit «die Liebe / ihn trockne».
Dass innerhalb einer Gedichtfolge vom hier gegebenen Umfang, ja dass im Zug von rund siebzig Texten auch «Selbstbefragung» und Appelle an sich selber vorkommen, zeugt von der Breite und Tiefe der Reflexion. Zwar ist dem Genre des Liebesgedichts nicht eigentlich das Monologisieren eigen, das Grübeln, das Ausloten; aber wir haben Anlass, einzusehen, dass Liebhabers Rede ihren Ort nicht nur im Zweisamen habe, sondern eben oft im Befund, für sich bzw. allein zu sein. In tausend Fällen, scheint mir, sei das Liebesgedicht «Sprachwerk» zwischen dem Körperwerk, zwischen den zweisamen Lektionen.

Arthur Steiner, Jahrgang 1934, liest am Montag im Raum für Literatur gemeinsam mit Ursula von Allmen. Die Autorin, Jahrgang 1938, ist mit einem Auszug aus ihrem Roman Das halbe Bild in der Anthologie vertreten, einem Mosaik aus Geschichten und Schicksalen im Umfeld der Textilindustrie. Hier der Text.

Peter Surber

Ich wäre überall und nirgends. Lesung mit Ursula von Allmen und Arthur Steiner, Moderation Eva Bachmann: Montag, 13. März, 10 Uhr, Raum für Literatur in der Hauptpost St.Gallen.