Literaturland


Heinrich Altherr

Die Mundarten Innerrhodens, des Hinter-, Mittel- und Vorderlandes

1964

Ausschnitt aus einer Darstellung, worin der Waldstätter, dann Herisauer Lehrer, Erzähler und Hörspielautor sich einlässt auf die sprachlichen Erscheinungen in beiden Appenzell.

Wenn ich näher auf die einzelnen Mundarten der beiden Halbkantone eintrete und dabei die vier Gruppen Hinter-, Mittel-, Vorderland und Innerrhoden bilde, so ist das recht ungenau, weil von Dorf zu Dorf, ja von Dorfteil zu Dorfteil deutliche Unterschiede bestehen.

 

a) Die innerrhodische Sprechart ist die älteste und wohl auch am reinsten erhaltene. Der Innerrhoder spricht ziemlich schnell und besonders melodisch. Er näselt gerne und spricht verschiedene Laute ähnlich wie der Franzose, z. B. ‹taaze›, ‹Doof›, ‹i meenes›, ‹me chööd›. Für ei in den Endsilben spricht er ä: ‹Grechtigkät›, ‹Obrigkät› oder eher ‹Oberkät›. E spricht er in vielen Fällen als ö, z. B. Gsöll, höll. Der Innerrhoder lässt mehr Konsonanten wegfallen als der Ausserrhoder, z. B. ‹Beg›, ‹i mekes›, ‹mer gööd›, ‹mer hööd›. Im übrigen weicht die Sprechweise der sog. Oberdorfer, das heisst der Leute vom ‹Dorf an der Sitter› nach aufwärts, wesentlich ab von derjenigen der Gegend von Haslen oder der Gontner. Früher wenigstens sagten die Haslener und Gontner Suu, buue, truue, nüü, die Oberdorfer aber Sau, baue, traue, neu.

Mundart von Innerrhoden (Appenzell)
Em letschte Sonntig im Hebschtmoned goht alls im Land a d Hoferchülbi. Seb Johr iss en prächtege Tag gsee, ond die Buebe ond Meedle sööd scharewiis em Doof zue zoge. Au vo Goonte her lauft en gaaze Schopl de Landstrooss noi. S Sefeli ischt au debei gsee; i ehrem höbsche, fabege Trächtli hets gär neckig dreegseä. Di goldblonde Chruseli heed loschtig vom Stoffelchäppli vöreggugged, ond di blaue Auge heed gglinzeled wie zwee Steene. Het die Buebe ond Meedle scho of em Weg e löschtegi tunkt, ond si heed kum möge gwaate, bis s heed chöne taaze. D Zöchesch Mile het mit ehrne gloggehölle Stimm e glunges Tratzliedli gnoh; die Pääli heed denand iighenkt ond de gaaz Weg vespeit. Vo ale Siite ischt Gaschtig is Doof choo. Os ale Weetschafte het löpfegi Musig gchette. Wo die Goonter Taazlüüt d Sandgrueb uuf sööd, cheit ehre os em Pfaue e Walserli entgege. «Nüd au Mile, me gööd wider in Pfaue, ischt doch a de Narregmeend malefiz loschtig gsee», säät s Sefeli. Die Buebe ond Meedle sööd iiverstande gsee. Si hets waul chöne verstole ha, wer as im Pfaue of si waati.
[Ausschnitt aus Walter Kollers Erzählung Zwää Chrüz am Weg.]

 

b) Die hinterländische Sprechart bemüht sich, weniger ausgeprägt allerdings als das Innerrhodische, sich gewisser Konsonanten zu entladen; namentlich die Doppelkonsonanten ll und nn werden abgeschwächt, so dass es heisst: z Urnäsch hene heds Hene, de Hond beled, d Senehönd belid ond triibid d Chüe zom Brone n ane. Hinterländisch ist ferner: drüü, Chnüü, süü, weire, zeire, Zei, määe. Die Endsilbe der Eigenschafts- und Umstandswörter ist oft ch, z. B. schülech, ordlech, fröhlech. In Waldstatt traf ich oft ältere Leute, die das ll nach i und e in gewissen Wörtern deutlich mouillierten, z. B. Millimeter, hell, gell.

Mundart des Hinterlandes (Herisau)
Nei gwöss, so wie min Fründ, de Leberle z Amerika, het niemert di ganz Johrmartherrlichkeit kennt ond gnosse. Scho drii Woche vorane ond zwoo dröberabe ischt ken andere Gedanke i sim Chopf ine gstecket, ond üüs Gspane het er allizeme mit siner Begeischterig aagsteckt. «Du, Leberle, gets hür vil Bude?» – «Gell Leberle, mer gönd denn mitenand!» – «Leberle, was für en Zirkus chont damol?» – De Leberle het aber gad d Achsle zockt ond ischt nüd recht usegrockt mit de Sprooch, wie wenn er en Gmändrot wär, wo sött e n Uuskunft gee, ond sät, es tüeg em läd, er chönn nüd diene; es sei halt e n Amtsgheimnis.
Bi ale Fuermane het er si i dere Zit aagfründet, dass er zerscht ine wer, wenn s müeset d Komediwäge vo Flowil ufe füere ond wie menge ond mit wie mengem Ross. Ond denn ischt er ene bis of Goosse abe entgegegsprunge ond mer andere Buebe zwee, drii Schrett henedree. Ond gspässig isch gsee: Wenn mer gwönderig üseri Nase i n ali Schronde ine hend wele stecke, so hend üs d Komediantelüüt bös eweg gjagt ond de Hond aagrääzt; aber de Leberle het töre met ene plaudere, wie wenn em ali alti Bekannti wäret.
[Ausschnitt aus Walter Rotachs Erzählung Min Fründ, de Leberle, am Johrmart.]

 

c) Die mittelländische Sprechart, gesprochen im Raume zwischen Rotbach, Sitter und Goldach, kennt in den Gemeinden Teufen, Bühler und Gais nur sehr geringfügige Unterschiede, während in den beiden nördlich des Gäbris liegenden Dörfern Trogen und Speicher leicht feststellbare Abweichungen von der Sprechart der übrigen drei mittelländischen Gemeinden vorkommen. Gais: Gamèlle, Trogen: Gamélle; Gais: En Becher hèll, Trogen: En Becher héll; Gais: E leijigs Höckli; Trogen: E leijis Höckli (g fällt weg); Gais: zmitzt inne, Trogen: zmetzt ine; Gais: äägelig, Trogen: äägeli (g fällt weg); Gais: mit, Trogen: met; Gais: Sonntig, Trogen: Sonti. Der Mittelländer sagt: Chneu, dreu, seu, traue, baue, saue, hönne, dinne, Henne, schuulig. In der Speicherschwendi unten trifft man schon Kurzenbergisches an, z. B. Mèni, schuli und schò (schon). Die Dialekte von Teufen und Bühler (politisch und kirchlich bis 1723 vereinigt) können kaum voneinander unterschieden werden, was im ganzen Kantonsgebiet von keinen zwei andern Gemeinden gesagt werden kann.

Mundart des Mittellandes (Gais)
Vor meh as hondert Johre ischt en Maa, wo noch e paar Jöhrli wider emool os de Frönti hää of Tüüfe choo ischt, ammene Samschtigoobed bimmene Weertshuus zuegchehrt, wil er hed wele en Schoppe trinke. Noch eme Wiili chood er mit eme jüngere Maa, wo am gliichige Tisch zui hocket, is Gsprööch. Dr Oswertig hed eerber näbe gmörkt, as sin Tischnoochber kän Närr ond alemaa en Tüüfner ischt.
Nono: ää Woort geed s ander, ond bald sönd die zwee iifrig am Tischgeriere. D Ufwäärteri hed gad noodlig mit Iischenke; ää Chäntli Foorschtwii noch em andere chood of de Tisch. Zmool isch es Zit zom Häägoh. Bim Goetnachtsäge hett de Frönt allbereits e Schlägli öberchoo, wil d Ufwäärteri zo sim Weertshusgspaane sääd: «Goetnacht Herr Pfarrer ond schloofid wohl.» De Frönt töd nüd wie mörke, gohd d Stege n aab ond tenkt: Ho aseweg, en Pfarrer ischt daa! Deä hed ono eerber en goete Schlock!
[Ausschnitt aus Heinrich Altherrs Originalbeitrag.]

 

d) Die vorderländische Sprechart weicht von den übrigen am stärksten ab. Indessen nähert sich der Kurzenberger Dialekt am meisten dem Schriftdeutschen. Auch sind im Vorderland die Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde am grössten. Typisch für alle Vorderländer ist, dass sie das g verstossen; sie sagen: Zitti, Mani, e prächtis Tier. Einiges dehnt der Vorderländer auffällig, z. B. Ziit, süüs, anderes hingegen schärft er, wie z. B.: Wurscht, Turscht. Den Diphthong ei spricht der Kurzenberger wie: Wéier, néinéi. Der Vorderländer spricht oft a, wo der Mittel- und Hinterländer ä sagen, z.B.: elaa, Baa, aas, zwa, umgekehrt éi, wo die übrigen Appenzeller ä sprechen: er séid (er sääd), er léid (er lääd); i beim Vorderländer , wo im übrigen Appenzell e, z.B. gsii–gsee, bschisse–bschesse, wisse–wesse. Die Vorderländer sagen Vógt statt Vògt; umgekehrt Kantò statt Kantó, gòh, stòh, Lòh statt góh, stóh, Lóh. Oft sagt er u, wo die übrigen Appenzeller o sprechen, z. B. Gutz–Gotz, Lupf–Lopf, Gupf–Gopf. Eigentümlich sind dem Kurzenberger die Diphthonge öu und ou; höusche, röue, Frou und Tou. Als vielleicht auffallendste Eigentümlichkeit ist zu vermerken, dass der Vorderländer k am Wortanfang nicht als ch, sondern als k ausspricht: Kriesi, Kurzeberg, Kres oder verkönde. Zur Zeit von Titus Tobler, also vor etwa 120 Jahren, sprachen sie in Walzenhausen noch Lònd (Land), en Mònn (ein Mann) und e Hònd (eine Hand).

Mundart des Vorderlandes (Walzenhausen)
Wo mier no ali segs Gschwüschterti dehaam gsi sönd, ischt d Oschtere n all e groosses Fescht gsi.
Am Samstimittag scho sönd mini beid Brüeder ond ii i d Sonnhalde n ai ond i d Nasewaad gi Buggele (1), Hondshoode, Zitterloose ond Suküechli sueche. Bülleschelfere ond rots Kafipäcklibapiir häd d Muetter scho e Zitlang zämmephalte ond o e ganzes Becki voll Eier parad gchaa. Mit Fadeschlag hammer das alls om d Eier ommiponde, jedes so schö as sis köne hed.
Am Oobet hed denn de Vatter Guschnille immene Tüllbletztli zämmeponde ond di iipackte n Eier mit dere Farb innere groosse Kupferkachle inn gsotte. Mit de Schumkelle hed er s hofeli in e Becki mit kalt Wasser gleit ond mier hand fascht nöd möge gwaarte, bis mier gsäche hand, was alls uf dene schö violettroote n Eier abtruckt hed vo üsere ‹Vebänd›.
[Ausschnitt aus Martha Kellers Originalbeitrag.]

(1) Buggele sind Wiesenkerbel, Hondshoode das Geblätt der Herbstzeitlose,
Zitterloose heisst die Schlüsselblume, Suküechli bezeichnet Löwenzahnblätter,
Guschnille (frz. Cochenille: Schildlaus) dienen der rotvioletten Einfärbung des Suds.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 430–433.

Erstpublikation: Heinrich Altherr: Die Sprache des Appenzellervolkes. Erzählig: De goldig Schlössel. Herisau: Verlag Appenzeller Hefte, 1964 (Das Land Appenzell, H. 1). S. 18–23.