Literaturland


Melina Cajochen

Übrig bleibt eine kleine, seifige Pfütze

2016

Mir brennt nichts unter den Nägeln, mich freut nichts, mich stört nichts an Appenzell. Ich langweile mich. Ich wache nachts auf, sleepless in Appenzell, es stürmt, ich ziehe die Vorhänge auf und schaue durch die dreifach verglaste Scheibe. Es ist so ruhig hier. So schön. Hier werden Traditionen noch gelebt, die Krankenkassenprämien sind tief, das Dunkel ist lieblich, das Grün satt und die Hauptgasse bunt und aufgeräumt. Und so kommen sie zu uns, die, die es sicher haben wollen und das auch bezahlen können. Und die, die wollen, dass es so bleibt. Hier drinnen in Appenzell.

Draussen ist der Teufel los. Banken starten mit Entlassungswellen, Heimatvertriebene finden keinen Platz zum Bleiben, Muslime bringen Muslime um und der von den Amerikanern exportierte ‹Jeder-kann-es-schaffen›-Traum ist ausgeträumt. Und mitten durch Appenzell wehen die Seifenblasen vom Bazar Herrsche – kleine, perfekt anmutende Mikrokosmen, die elegant an Hindernissen, am zerstörerischen Draussen, vorbeischweben.

Bis sie dann halt doch platzen, irgendwann. Übrig bleibt eine kleine, seifige Pfütze, laugig, die kein bisschen an die bunt schillernde, fliegende Kugel erinnert. Und der Seifeninnenraum? Im Platzen noch ist er entschwunden, hat sich innert eines Augenblicks im Draussen aufgelöst.

Hübsch anzuschauen sind sie, diese kleinen, luftigen Momente, diese Seifenwelten. Fürs Überleben, fürs immer Weiterleben, sind sie nicht gemacht. Sie können sich nicht öffnen, sich mit Neuem nicht verbinden, nicht verwachsen mit Notwendigem, keine Veränderungen miterleben. Verschwommen nehmen sie wahr, undeutlich kommunizieren sie und selten lernen sie. Ihr Umgang mit dem Draussen besteht aus: Platzen. Plop.

Und ich hörs, draussen geht im Dunkeln der Föhn und bringt alles durcheinander. Hier drinnen drückts ein bisschen im Kopf, sonst ist alles in bester Ordnung. Morgen früh liegen vor der Haustür ein paar Blätter, ein paar Äste, schnell weggewischt und alles ist wieder wie zuvor, so wie wirs kennen und lieben. Ein Glück?


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 63.

Erstpublikation: Melina Cajochen: Übrig bleibt eine kleine, seifige Pfütze. In: Saiten 254, 23 (2016), 3 (März). S. 43.