Literaturland


Alfred Fischli

Anna Koch

1959

Die Dialekttragödie wurde durch die Theatergesellschaft Appenzell am 5. November 1959 im Saal des Hotels ‹Säntis› am Landsgemeindeplatz uraufgeführt.

Zwischenspiel vor dem VI. Akt
(Vorhang schwarz. Auf der Vorderbühne eine Bank und dahinter ein Bildstöcklein. Anna kommt wie ein gehetztes Wild mit einem kleinen Bündel und mit aufgelösten Haaren. Man hört in der Ferne friedlich Aveläuten, zwischenhinein ganz leise die Melodie des Anna Koch-Jodels.)

Nann: (am Ende ihrer Kraft) Jo, jo lüütid no, ehr Glöggli. – Ii khör eu nomme lang. – Wie han i mer die Flucht anderscht vorgstöllt. – I ha em Sinn kha, em Vorarlberg ene möglichscht sang- ond klanglos z veschwinde. Ond etz bin i wider of ägnem Bode. – Ond e ke Freud weer i je wider erlebe! Vefeemt bin i, en Usgstoossni. Es schücht me vor me sölber. – Ond denn de Zuesproch, wo meer de Geischtlich z Rankwil ene ggee het. Er chönn mi nüd loosspreche, het er gsäät. Zescht mös i mi sölber go aazääge. (Lacht wie irr) Ha, ha, ha, ha! De het ring säge. Er moss de Chopf nüd anehäbe. – Ond gliich; denn wär alls emol döre. Lang chas dereweg nomme goh. I bi etz denn fetig ond mi Chraft lot noe. (Verzweifelnd) Wär i gad i seb Bronnebett ini – oder in Rhii ini gsprunge. – Aber de Bisch, min Bisch! Wie gsieht de efangs uus. I cha em nomme i d Auge luege. Ond wenn er mii aalueget, as wie e aagschosses Reh, denn meen i, i möss i di gaaz Wölt usi rüefe: Ii bis gsee, lönd ehn hee, er ischt ooscholdig. – (Erschauernd) Los, wies lofted. – Ischt daas ooheemelig. Mer fangts a föche. Abe wohee söll i? Wo gets för mi en Uusweg? – Jesses, was wingget (1) ase? (Schluchzend) Herrgott, so hölf mer doch, sös bin i gaaz velore. Aber er het för mi ke Ziit meh, i ha jo för ehn au nie gkha. (Bestimmt) Etz gets för mi gad no ees: Mi go aazääge. Denn ischt de Bisch wider frei. Was s denn mit meer machid, seb wäss i scho. Steebe! Steebe! Eso jung – vo Henkershand – die Schand! (Der Wind wird zusehends stärker. Es dunkelt immer mehr.)

(1) wingge nicht festsitzen, hier schwanken. (Red.)


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 548.

Erstpublikation: Alfred Fischli: Anna Koch. Historische Tragödie aus Appenzell Innerrhoden in 7 Akten und 3 Zwischenspielen. Appenzell: Genossenschafts-Buchdruckerei, 1960. S. 48–49.