Literaturland


Willy Werner

Streckenwärters Gang

1941

In seiner Kleineisenbahn-Novelle Brautfahrt ins Alpsteinland beschreibt der Verfasser den Wandel von Technologie und Mobilität zwischen Bergpostkutsche und elektrischer Bahn St. Gallen-Gais-Appenzell. Protagonist des nachfolgenden Auszugs ist der Streckenwärter.

Schiene, Schraube, Schienenstrang und sein kleines Heimatland. So trabt er hin, in seinem Schwellenschritt. Von Schraube zu Schraube, von Schwelle zu Schwelle, der stille Mann am Schienenstrang. In den Mantel gehüllt, den Schlüssel zur Hand und Werkzeug und allerhand, so schreitet er hin und durch Sturm und durch Wetter, der eiserne Mann, so Schritt für Schritt und Tritt für Tritt. So Schritt für Schritt, so Tritt für Tritt und nimmer gewendet den prüfenden Blick, den die Verantwortung ihm gab. Die Pflicht, die er hier trägt. So Schritt für Schritt, in endloser Runde, so Tritt für Tritt von Schwelle zu Schwelle in endloser Stunde, Schritt für Schritt, und Tritt für Tritt, des Streckenwärters Gang.

Und die Nacht ist gekommen, bald eilt er dahin, der Zug mit den glühenden Augen. Durch Sturm und durch Wetter, wenn’s wütet und brandet und schüttet und donnert, als müssten Gehege und Bäume entwurzelt über schlammigem Grund sich über die Schienen noch wälzen, als müssten die Blitze über den Schwellen zersplittern und die Donner zerrollen. Und Schritt um Schritt und Tritt um Tritt geht er dahin in endloser Stunde und endloser Runde, der Mann, einsam und still, sein Leben der Pflicht. Ob Eis und wehender Schnee, ob dräuende, hängende Wetter, bei sonniger Glut, bei Nebel und Sturm, die Uhr gibt die Zeit, die er zu gehen hat. Die Tage, die Stunden und die Minuten, so Schritt für Schritt, so Tritt für Tritt. Da ist ein Fehler, da ist ein Bruch, und bald rast der Zug in die Sekunden, die er zu halten hat und halten muss, denn die Schiene ist locker, die Schraube gelöst, die Schiene gebrochen, die Schraube zerschmettert im Blitzstrahl donnernder Gewalten. Halt ein, du jagende, verwegene Fahrt. Ihr tausend und tausendfachen Energien, du rasendes Licht, du Führer des Zuges, ihr Hebel, ihr Räder, ihr bremsenden Funken, vor dem blinkenden Licht, der winkenden Fahne, du Ungestüm in deiner Gewalt, denn aufgehalten hat dich des Streckenwärters Gang. Aufgehalten in deiner trotzigen, wild eilenden Fahrt, der einsame Mann, der die Strecke beging. Ein Halt den tausendfachen Energien, der verderbenden Sekunde, in Sturm und in Not, in Pflicht und in Treu, des Streckenwärters Gang von Stunde zu Stunde, von Runde zu Runde, wie die Sekunden der Einsamkeit.

Ergraut bist du und alt geworden, du treuer Streckenwärter du. Erprobt in Treu und in Pflicht, so Schritt für Schritt, ein Leben lang.

Wie mancher ging den Weg, wie mancher treu des Dienstes. Von der Schiene Strang, von Stunden und Minuten, zu den Hebeln triebgesicherter Züge. Treu ein jeder, treu seines Dienstes, treu seiner Pflicht. So Schritt für Schritt, so Tritt für Tritt, die Jahre, still und hart. Durch Sturm und durch Wetter von Schiene zu Schiene, jahrein und jahraus, das treue Verbundensein. Das war des Streckenwärters Gang, von Schraube zu Schraube, von Schwelle zu Schwelle und Schiene zu Schiene, ein Leben, hart und lang; das war des Streckenwärters Gang.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 284–285.

Erstpublikation: Willy Werner: Brautfahrt ins Alpsteinland und ’s Gaiserbähnli, 1889–1939. Eine Kleineisenbahn-Novelle. St. Gallen: Ostschweiz, 1941. S. 45–46.