Literaturland
Christa Wüthrich
Gedichte
Streit I
Worte, wie Messerstiche.
Zwischen Anschuldigung und Verzeihen
die rücksichtslose Suche nach dem
Schuldigen.
Zwischen Tränen und Kälte
der langsame Verlust des Vertrauens.
Zwischen Anfang und Ende
das Vergessen der Rücksicht.
Zwischen Liebe und Hass
die Hilflosigkeit des Andern.
Man sagt,
es käme in den besten Familien vor.
Man sagt,
es sei vielleicht normal.
Es macht hilflos und taub,
gefühllos und stumm.
Streit II
Sie habe nichts gesagt.
«Schnauze!»
Er solle nicht schreien.
«Was?» – «Ich?»
Sie habe genug.
«Macht nur weiter.»
Immer er.
«Lügner!»
Es sei nicht so gemeint.
«Besserwisser!»
Alles gefallen lassen müsse er sich nicht.
«Spinnst du?»
Man könne nichts dafür.
«Trottel!»
Sie sei nicht schuld.
«Ich gehe.»
Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 474–476.
Erstpublikation: Christa Wüthrich: Zwischen-Gedanken. Speicher: Druckerei Lutz, 1998. Unpag.