Literaturland


Max Amstein

Spitalgedichte

1935

II

Aus Backstein ein Kamin steht starr und gross
Vorm Fenster, und im Regenwinde
Die kalten Bäume pendeln hoffnungslos.
Du hast gefragt, der Baum ist eine Linde.

Den Giebel kannst du sehn, ein langes Dach,
In grossen Sälen liegen dort die Kranken.
Der schwarze Rauch jagt grauen Wolken nach.
Du siehst die nassen Äste trostlos schwanken.

Auf deinem Tisch sind Blumen aufgestellt,
Die Vasen und die Töpfe stehn in Reihen.
Ein Zeichen, dass man hier auf Ordnung hält.
Es fällt dir schwer, der Schwester zu verzeihen.

Sie lässt die Türe immer offen stehn,
Dann hörst du Stimmen und ein leises Wimmern.
Wie wärst du froh, die Schwester würde gehn
Und nichts erzählen aus den andern Zimmern.

Am schwersten wird die Nacht dir jedesmal,
Es geht herum auf leeren leisen Spuren,
Du hörst die Stadt und horchst auf das Signal
Der Bahn, mit der wir oft nach Hause fuhren.

 

IV

Die Schmerzen sind ein grosses, starkes Heer,
Sie haben immer schon in uns gelagert,
Jetzt, da wir schwach sind, müd und abgemagert,
Jetzt fallen sie gewaltig auf uns her.

Sie stürzen auf uns ein mit grossem Streit,
Zerschlagen unsre Wehr in tiefen Breschen,
Vielleicht, dass sie aus frühen Garben dreschen,
Was darin reif ist zu der frühen Zeit.

Die Schmerzen sind von roter Glut ein Pflug.
Die Hand, die ihn so unerbittlich leitet,
Vielleicht, dass sie uns fasst und neu bereitet
Den Grund, den sie so fürchterlich zerschlug.

 

XII

Die Alten gehn mit ihrer leeren Last
Im Garten um, die Frauen und die Greise.
Die Böschung ist verschüttet von Morast,
Dort liegen welke Blumen haufenweise.

Und Küchenmädchen tragen Kübel fort.
Das Wäscheauto hupt zum Haus der Schloten,
Und blasse, schwarze Menschen warten dort.
Auf einer Tafel steht Durchgang verboten.

In dünnen Wiesen, wo kaum Gras gedeiht,
Stehn auf den Stangen blaue Einbahnscheiben.
Und hier wie überall verrinnt die Zeit,
Und andre Kranke kommen, gehn und bleiben.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 227–228.

Erstpublikation: Max Amstein: Zwölf Spitalgedichte. Zürich: Schweizerischer Schriftstellerverein, 1935 (Lyrische Blätter 2/1). Nrn. II, IV, XII.