Literaturland


Eugen Auer

Ein Appenzeller namens

2003

Rechtsanwalt Eugen Auer kommentiert mit seinen bedenkenswerten Glossen aktuelle Ereignisse aus Politik und Gesellschaft.

Ein Appenzeller namens Merz,
der fasste sich spontan ein Herz
und sprach zu seiner Frau beim Kafi,
ich gehe morgen zum Gaddafi.
Frau Merz nahm noch ein Pralinee
und sprach, Hansruedi, oh herjeh,
so mach mir dort kein Durcheinander.
Er sprach, der Grosse Alexander
hat mit dem Schwert einst vehement
den dicken Knoten durchgetrennt,
den Gordus unlösbar geschlungen,
und was dem Perserschwert gelungen,
kann auch mein Landsgemeindesäbel.
Sie rief, das gibt mir ein Geräbel!
Er aber ging zur Ahnenwand,
ergriff den Säbel und entschwand.
In Libyen kam der Merz’sche Streich
dem Perserhieb an Kraft nicht gleich.
Vergleicht man beide miteinander,
ist Merz halt doch nicht Alexander.

 

Der Innerrhoder Carlo Schmid,
der sonst die Äussern Rhoden mied,
sprach jüngst in amtlicher Funktion
durchs nagelneue Mikrophon
dem hiesigen Kantonsrat vor.
Derselbe sah zu ihm empor
und hörte Worte, die ihn rührten.
Es hiess, die Innerrhoder spürten
nun plötzlich doch Gemeinsamkeiten,
es lebe ja auf beiden Seiten,
in jedem Appenzeller Busen,
das Zauren, Ratzen und Rugguusen.
Dem Innern Land seis dran gelegen,
derart Gemeinsames zu pflegen
und Trennendes zu überwinden
und Ausserrhoden einzubinden
ins Zentrum für Musik in Gonten,
es gebe dafür Spendenkonten
bei Post und Appenzeller Bank.
Der Präsident des Rats sprach Dank
und die Regierung Hunderttausend,
und der Kantonsrat klatschte brausend.
Den schönen Anlass untermalte
Herr Köbi Freund, der freundlich strahlte
und Hackbrett spielte polyphonisch.
Wie harmonisch!

 

Ein Appenzeller namens Schwitter
war tief betrübt, es ging ihm schitter.
Der Sohn als Fixer jüngst entmündigt,
die Stelle bei der Post gekündigt
und seine Gattin ausgezogen.
Vom Schicksal rundherum betrogen,
lag eines nebelgrauen Tags
er in der Enge seines Schlags
und wusste nicht mehr aus noch ein,
kurzum er war ein armes Schwein.
Er trank die Vortags-Kaffeebrühe,
entstieg dem Bett mit Not und Mühe
und sagte sich, mein trüber Grind
braucht dringend etwas frischen Wind.
Durch Nebelnass und Morgenkühle
fuhr er per Bahn nach Zürchersmühle,
weil er auf die Idee verfiel:
Hundwilerhöhe heisst mein Ziel.
Bis Ramsten war der Nebel dicht,
dann schimmerte das Sonnenlicht
als fahle Kugel durch das Grau.
Bald funkelte der Morgentau
und alle Welt war Glanz und Glitter.
Am Gipfel angelangt ging Schwitter
ins Gasthaus, wo er Suppe roch.
Die Höchi-Wirtin Marlies Schoch
bat ihn zu sich auf ihre Bank.
Ihr schien, der Mann sei seelisch krank,
weshalb sie ganz behutsam fragte,
ob ihn vielleicht ein Kummer plagte.
Bei Schwitter kam ein Damm zum Brechen.
Erst tropfenweise, dann in Bächen,
ward, was an Leid sich aufgestaut,
der Höchi-Wirtin anvertraut.
Sie hörte zu, verständnisvoll,
sprach ab und an, jo grad, moll, moll,
und irgendwann stieg Schwitter munter
mit neuem Mut ins Tal hinunter,
und sah mit grosser Zuversicht
grünes Licht.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 535–537.

Erstpublikation: Eugen Auer: Ein Appenzeller namens. 4 Bde. Herisau und Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2003–2016. Bd. 3, S. 44; Bd. 2, S. 28; Bd. 4, S. 10.