Literaturland
Gerhard Falkner
Verschreibungen
Wer ich bin. Der unbekannte Absender einer E-Mail hat mich nicht nur erkannt, er hat mich durchschaut. Ich lese mit Erschrecken: Mr. Unknow Falkner. Es gibt einen Menschen auf der Welt, der mich kennt!
Alter oder die Kunst des Relativierens. Gemessen am Umstand, dass ich tot sein könnte, fühle ich mich ausgezeichnet. Gemessen am Umstand, dass es mir ausgezeichnet gehen könnte, fühle ich mich mies.
Die Nacht bringt es an den Tag.
Die Hitze stellte ihn in den Schatten.
Der arme Ball. Warum muss er immer im Netz ‹zappeln›? Kann er denn nie zur Ruhe kommen? (Requiescat in pace!)
«Ich habe nichts gegen Kultur», sagte der Politiker, «aber nach zwei Stunden Kultur brauche ich dringend einen Schnaps.»
Im Tauchbad der Kultur. Auftauchen, wer kein Fisch ist!
Es entspricht einer gewissen Logik, dass, wer zuerst kommt, auch das letzte Wort hat.
Was den Wolken recht ist, ist mir billig: ich verziehe mich.
Was dem Wind recht ist, ist mir billig: ich schlafe ein.
Was der Sonne recht ist, ist mir billig: ich gehe auf.
Der Tag erübrigte sich.
Was ihr nach seinem Tod am meisten fehlte, dass sie niemanden mehr nach der Zeit fragen konnte.
Alter. Er trug seine Vergessenheiten wie eine kostbare Porzellanvase vor sich her, die ihm jederzeit aus den Händen fallen konnte.
Kuhglockengeläute rund ums Haus. Der Tag ist grundiert und bereit für den Farbauftrag.
Der Alltag, unser Produkt. (Der graue Teppich, den wir den Tagen unterlegen, damit wir keine kalten Füsse bekommen. Die Freiheit – das wissen wir – tanzt auf schlüpfrigem Parkett.)
Gerhard Falkner: Verschreibungen 2008–2010. Typoskript 2010.
Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 477–478.