Literaturland


Rudolf Fastenrath

’s Appezellerlendli

1906

Unerhört an diesem schlichten Lied ist, dass es innerhalb eines ‹Cyclus› von 15 Gedichten – und zwar in Dialekt – geschrieben ist (illustriert von Eugen Schmidhauser, vertont von Gustav Baldamus). Der Verfasser ist aus Westfalen gebürtig, leitet ab 1876 eine Privatklinik in Herisau, fördert Tourismus, plant Bahnen, veröffentlicht in seinen Jahren als Direktor der Kuranstalt Gontenbad (1902–1907) Lyrik in Innerrhoder Mundart!

I wääss em liebe Schwizerland
E Lendli, vilne waul bekannt,
Es ischt nüd mechtig, ischt nüd gross,
E herzigs Bröckli Bode bloss –
Du chenntsches, gell?
So säg mer’s schnell,
Säg: Grüetz di Gott, mi Appezell!

Ken Kaiser herrscht i ösrem Land,
Es ischt mit Förschte nüd verwandt,
Was selber öser Volch befelt
Als häligschtes Gesetz ös gelt.
Zo Schotz ond Wehr
Vo Alters her
Lehrt’s so der Appezeller Bär.

Ond Berge hemmer, s ischt e Pracht,
Die het de Herrgott selber gmacht,
So gross ond mechtig sönds wie-n-er,
Drom schickt er sövel Frönti her.
Wenn ’s Glöckli klingt,
De Gäässbueb singt,
Si Lob zom Himmel ufwäts dringt.

Paläscht seb hem mer lötzel gad
Ond Schlösser, es ischt gwöss nüd schad!
Doch lueg no! Hötte nett ond chlii,
Wie gmolt im Regebogeschii,
Het’s omenand
Im ganzne Land
Bis dobe a de Felsewand.

Im ganze Lendli Gross ond Chlii
Ischt loschtig ond het frohe Sii,
Mer fühlid ös as Gotteschend
Ond föndit ’s Zaure för ke Sönd.
Em Hirtechleid
Vor Zank ond Leid
Schötz ös de Herr in Ewigkeit.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 441–442.

Erstpublikation: Rudolf Fastenrath: Grüetz Di Gott, mi Appezell! Lieder-Cyclus. [Ausg.] C, illustrierte Salon-Ausgabe für 1 Singstimme mit Klavierbegleitung. Magliasco: Ceresio, 1906. S. 15.