Literaturland


Andreas Niedermann

Log

2009

In seiner Zeit als Writer in Residence im Atelierhaus ‹Birli› in Wald AR hat Andreas Niedermann ein Logbuch verfasst.

Freitag, 5. Dezember 2008
Sonne, Raps und Selbstkontrolle

Als am früheren Morgen die Sonne noch die ganze Gegend flutete, ging ich los um die ‹Gumbo›-Sachen für morgen zu besorgen. So eine Wintersonne macht Typen wie mich einfach glücklich, weil es Sonne gibt und es trotzdem nicht heiss ist. Früh ging ich los. Und anstatt nur bis zur Haltestelle ‹Hopsbermoos›, ging ich gleich bis ‹Wald Post›, und dann dachte ich daran, dass ich ja noch ein bisschen Raps vom Acker brechen musste.

Eigentlich wollte ich das in der City Gallen tun, aber Wald AR, das war mir bekannt, verfügte auch über einen Acker, dessen Name Raiffeisenbank ist. Unterwegs begegneten mir mehr Menschen mit Hunden als in Wien vorm Hundefriseur. Ich halte diese Verhundung für kein gutes Zeichen. Früher hatten Punks, Junkies und Hirten Hunde, heute treten sie rudelweise an jeder Ecke auf. Auch in City Gallen, fiel mir auf, tollen sie herum, und Mütter mit Kleinkindern finden es lustig, wenn der riesige, niedergeschorene Bobtail ihr kleines Mädchen niederrennt. Die Mütter mahnen es mit angerührten Worten zu mehr Männlichkeit, wenn es deswegen weint. Mir gefällt das nicht. Der postmoderne Mensch ist nicht mehr in der Lage seinen verfettenden Arsch einfach so auszulüften und einen Spaziergang zu machen, nein, er braucht dazu ‹Kreatur in der Natur›. Ich halte es für ein Zeichen von Entfremdung, falls noch jemand diesen Ausdruck erinnert.

Aber in der Hauptstrasse von Wald AR gab es keine Hunde, nur zwei Handwerker grüssten freundlich den Mann auf der Suche nach der Bank. Ich wusste, dass es eine gab, aber nicht wo. Aber wo soll man eine Raiffeisenkasse denn suchen? Na? Neben der Kirche natürlich. Immer neben der Kirche. Es ist wie in meinem Wienergrätzl, da residiert sie auch gleich neben dem Glockenturm. Und natürlich, da war sie auch. Wie zu Hause. Nur sah diese Bank nicht aus wie eine Bank, sondern wie ein hübsches Einfamilienhaus im einheimischen Stil, schmucker Vorgarten in dem eine Raiffeisen-Standarte im Morgenwind flatterte. Ich blieb stehen. Ich zögerte. Unschlüssig. Sollte ich hier hinein, oder doch in City Gallen? Ich ging einen Schritt Richtung Bushaltestelle, sah auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Zögern. Kein Mensch war zu sehen. In der Ferne, irgendwo hinter den Häusern, vernahm ich Kinderlärm. Und mit einem Mal sah ich die Szene von aussen. Da stand dieser massige Typ, schwarze Lederjacke mit hochgestelltem Kragen, schwere Sonnenbrille, schwarze Jeans, schwarze Boots und in den Händen hielt er einen offensichtlich leeren Rucksack. Das ist im Normalfall die zweite Szene in Aktenzeichen XY ungelöst gleich nach derjenigen, in der sich Mutti von Vati und den beiden hübschen, wohlerzogenen Kindern verabschiedet und sich aufs Rad schwingt, der Familie ein letztes Mal zuwinkt, um ihren Job bei der Bank anzutreten. Grundgütiger!

Aber dann dachte ich an Korsika, an das Gelächter meiner Freunde, als sie vernahmen, dass irgendwelche Schlaumeier eine Bank gemacht hatten. Wie sollten die von der Insel kommen? Das funktionierte nie. Aus irgendeinem Grund hielt ich dies hier auch für eine Art Insel, und ich betrat die Bank um zu sehen, wie man mich empfing. Es gab eine riesige Glasscheibe, die die nette Bankangestellte von mir trennte, und sie war so stark wie in jeder anderen Bank auch.

Nachdem ich meinen Raps bekommen hatte, verabschiedete mich die freundliche Angestellte mit meinem Namen, und wir hatten ganz nett geplaudert.

Zu meiner ungeteilten Freude war das Postauto leer, und ich durfte die Fahrt geniessen und den Bodensee in der Ferne begucken. Grau und klein lag er da, ein mittlerer Badesee, bekränzt von dramatischem Wolkengedöns. Ich wollte ein Foto machen, aber da zog die S-Bahn in eine langgezogene Kurve, und als wir wieder geradeaus fuhren, war der See verschwunden. Dafür fiel mein Blick auf ein Schild mit der Aufschrift ‹Selbstkontrolle›, und ich war mir nun ganz sicher, in der Schweiz zu sein. Gut. Ich kontrollierte mich selbst, aber dann kamen auch noch Fremdkontrolleure und kontrollierten, ob ich die Selbstkontrolle auch richtig durchgeführt hatte.

Diese Burschen rochen wie überall auf der Welt 50 Meter gegen den Wind nach Kontrolleur, und wie alle anderen ihres Berufsstandes irgendwo auf der Welt mochten sie es gar nicht, dass ich zuerst die Marke sehen wollte, bevor sie das Resultat meiner Selbstkontrolle kontrollieren durften. Aber sie konnten nix dagegen machen, ausser beleidigt zu sein und ein bisschen zu murren. So sind wir Schweizer eben auch. Stehen nicht so auf Autoritäten. Wir kontrollieren uns lieber selber. Aber weil der Mensch fehlbar ist, lassen wir dann doch noch einen ran. Man kann nie wissen, wie wir wissen.


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 37–38.

Erstpublikation: Andreas Niedermann: Log. Aufzeichnungen 2008/2009, Wien – Wald (AR).
Wien: Songdog, 2009. S. 58–59.