Literaturland
Steff Signer
Radio Bergwand
Bergwandschall aus der Highmatt im Henderland, weltweit wellend: Der Komponist und Vokalkünstler Steff Signer alias Infra Steff grüsst in seiner Prosa Frank Zappa und Urban Gwerder und alle Beatniks im Säntisäther.
Dort, wo ich herkomme, aus dem tiefsten Hinterland, aus der Highmatt ganz oben hinten links, dort haben wir unser eigenes Radio! Radio Bergwand heissts, und das Motto lautet:
Für alle einen Berg
und für jeden Berg eine Wand
Und auf die Frage, wo denn dieses Radio sei, lautet die gängigste Antwort: Dai, wo de Wedegeente (Muskelkater) aafangt! Weit, weit oben. Oberhalb der Baumgrenze. Oberhalb der Schneegrenze. Oberhalb der Moralgrenze. Gesendet wird meist zu den Melkzeiten. Ein völlig freies und unabhängiges Radio. Das heisst, abhängig sind sie eigentlich schon, der Joe Manser und seine Helfer: aber nur vom Wetter! Denn gesendet wird aus einem Rucksack von zwei Freaks, die sich in den Steilwänden zwischen Äschenbogen und Wildkerchli verschanzt haben. Wurden aber auch schon an Kirchturmwänden gesichtet.
Die Leute bei Radio Bergwand – im Dialekt des Hinterlandes wirds eher wie Begwand als Bergwand ausgesprochen – sind sehr erfinderisch, und die Fantasie kennt kaum Grenzen, wenns um die Gestaltung neuer Sendungen oder Beiträge geht, ganz nach dem Credo des alten Volkliedes «Die Gedanken sind frei». Vielleicht eine Art «wertkonservatives Hippie-Dogma».
Für das eine oder das andere Ohr klingt es wohl manchmal etwas ungewohnt, wenn Radio Bergwand frisch und ungestüm loslegt und auf Sendung geht. Aber es ist immer eine erfrischende Attacke auf Hörgewohnheiten, die seit Jahren von einer kaum mehr zu überbietenden Seichtheit und Oberflächlichkeit quotennymphomaner, regionaler Privatsender oder eines DDRS 3 geprägt worden sind.
In einer Zeit, in der es cool ist, Pakistan mit dem Velo zu durchqueren oder in der Verkäuferinnen weisse Massai werden wollen, bleibt Radio Bergwand daheim und entdeckt die Geheimnisse der nächsten Umgebung. Da werden Beiträge über allerlei kurlige Leute verfasst, wird über Aussenseiter, deren Verhalten und Lebensweisheiten oder über seltene, meist längst vergessene Bräuche berichtet. Halt über die kleinen Dinge im Leben, den Charme des Alltages, der sich beim näheren Hinsehen meist grossartig manifestiert. Geschichten aus der Seelenfutterdeponie.
Fürs gute Bauchgefühl gibts die Ess- und Kochsendung Alle Dreck macht fäässt, übersetzt in die geschriebene Sprache bedeutet das «Aller Dreck macht feist» (dick). Die wöchentliche Oldiesendung trägt den Titel «Versteinerte Melodien» und erfreut sich laufend wachsender Popularität.
Im Zusammenhang mit «Versteinerte Melodien» taucht immer mal wieder das sonderliche Duo Sägerei-Buebe (Sägerei-Buben) auf, deren Oldies, die meist einer sehr fantasievollen oder eigenwilligen Renovation unterzogen werden, immer wieder gerne in den Äther der Highmatt ausgestrahlt werden.
Songs wie der alte AC/DC-Hit Highway to hell, der dann in die Kantonsschtross i d Höll verwandelt wird oder Norwegian Wood von den Beatles, das als Högge-Wald über die Jugendliebe in einem Wald nahe Highwil erzählt.
Die Sägerei-Buebe, der Ezechiel Steff Singer und der «Sändeler», umschwirren mit exotischem Instrumentarium, mit Saz, Moniphonium, Kunstbass und Heugeige, highmattliche Inhalte wie Mücken die Glühbirne. Immer nahe daran, sich vor Inbrunst zu versengen. Ihr Repertoire umfasst alte Lieder in neuem Gewand, neue Lieder aus einer alten Welt, Gesänge übers Leben und Leiden, über die Freude und Trauer auf den Spuren von Tradition und Herkunft.
Frisch von der Leber weg und frech wie ein Dachs entwirft Sägerei-Bueb Ezechiel Steff Singer so seine eigene, highmattliche Welt, fernab beschaulicher Kalenderidylle, voll von skurrilen und verdrehten Gestalten, angereichert mit starken Gefühlen und wonnigen Ausführungen in Liedern, Texten, Theäterli und Musik, und immer wieder taucht mal ein solches Traktakt oder eine trömmlige Begebenheit in Radio Bergwand auf.
Ein ganz anderes Sendegefäss, das schon fast kultig-gespaced, avantgardemässig, um es mal salopp in einer urbanen Ausdrucksweise zu beschreiben, daherkommt, nennt sich: «Tönende Hightgenossen».
Da ertönen schlicht und einfach, ohne erklärenden Kommentar, Geräusche von Leuten und aus dem Alltag. Beispielsweise das Ächzen und Stöhnen von Bäumen im Herbstwind, das langsame Handsägen von vierjährigen Buchenscheitern, das Aufbrechen von vor sich hin röstenden Marroni, das Rupfen von Hühnerfedern oder das Summen der Drahtseile von Schwebebahnen.
Richtig skurril wurde es bei der zwölfstündigen Übertragung des «Atmens eines Museumraumes mit Bildern des Künstlers Erwin Wurm».
Bodenständiger dann die Geräusche aus der Küche des Textverfassers und Denkers Peterhans Spörrler, der zehn Kilo Weisskabis hobelt, das er dann zu Sauerkraut knetet, und zwar so lange, bis der entstehende Saft das Kraut bedeckt. Das war am 20. Oktober. Zu diesem Zeitpunkt produzieren alle ihr eigenes Sauerkraut für die Chabissete, einen der wichtigen henderländischen Feiertage, der traditionell am vierten Sonntag nach Allerheiligen stattfindet.
Überhaupt sind die henderländischen Feiertage immer wieder Thema bei Radio Bergwand: der Glüewörmler (Glühwürmchentag), der Schlitteler (Schlittentag) oder der Ku’schmüsler (Kuss- und Schmustag), um einige davon zu nennen.
Es wird gemunkelt, dass die Zeitschrift Du in einer baldigen Ausgabe Radio Bergwand zum Thema haben soll. Nicht zuletzt aufgrund des nonkonformistischen Konzeptes von «Tönende Hightgenossen».
Unterhaltsam und spannend gestaltet sich die Sendung ‹Psychobeamer› oder ‹Freie Bäche›, die sich schwerpunktmässig mit etwas anders gearteten Menschen befasst. Menschen mit eigenen Ideen, solchen, die mit Visionen und kreativer Schöpfungskraft besetzt sind. Künstler, Eigenbrötler und Denker. Solchen, die sich an den moralischen Vorstellungen der Gesellschaft reiben und sich ihre eigenen Wege schaufeln, ganz unter dem Motto: Ein Bach braucht keine Verbauungen, um zu wissen, wohin er fliessen soll.
Prinzipiell wird zwischen zwei Kategorien von Leuten unterschieden:
1. die äägewillig Äägete (dt. die eigenwillig Eigenen) – solche findet man immer wieder gerne in der Highmatt – und
2. die verlädelig Verbääbelete (dt. die zum Verleiden Verhätschelten) – solche, die gerne im Dunstkreis beispielsweise der Unterhaltungsdiktatur DDRS 3 anzutreffen sind.
Davon mehr ein andermal!
Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 338–340.
Erstpublikation: Steff Signer: Highmatt. Schräge Geschichten, Traktate, Seelenprotokolle, Gedichte und Lieder aus dem Hinterland. Zürich: Limmat Verlag, 2008. S. 29–32.