Literaturland


Gerold Späth

Walser Seelig Koch. Ein Mädchen wird ermordet

1995

Das Hörspiel unter der Regie von Barbara Schlumpf wurde im April 1995 produziert und im Juni im Schweizer Radio DRS ausgestrahlt. In den Szenen 1–5 (von 40) treten Robert Walser, Carl Seelig, Anna Koch und der Verhörrichter auf. Gerold Späth legte seiner Bearbeitung des Stoffs eine Wanderung von Seelig und Walser im Februar 1953 zugrunde.

1. Szene

Seelig:
Am fünfzehnten Februar wieder ein langer Spaziergang. Diesmal von Herisau über Weissbad nach Zürchersmühle und bei der Landscheide vom äusseren in den inneren Rhoden.
Weiter über Jakobsbad aufwärts Richtung Schwarzenberg. [Walser] wie immer mit Hut und Schirm, aber ohne Mantel.
Überall Schnee.
Das Wetter schön, der Himmel hell.
Die Temperatur niedrig.
Sein Tempo hoch.

 

2. Szene

Seelig:
Nüd so schnell, Herr Walser. –
Er rännt wider wi veruckt.
Keis Räne.
Schpaziergang, Herr Walser. –
Wi veruckt.

Walser:
(weiter oben)
Me geit so guet’s geit, Herr Seelig.

Seelig:
Aber doch nüd e so schnell.

Walser:
(lauter)
Me geit so guet’s geit.

Seelig:
Dänn gaht’s Ine hüt meh als guet.

Walser:
Wowoll.
Euch o?

Seelig:
I dem Tämpo e so gääch de Schnee deruuf.
(schnaufend bei Walser)
Si räned sich no emal s Herz ii, Herr Walser.

Walser:
Me gseht hüt meh als s letscht Mal. Säntis. Hohe Chaschte. D Voralberger.

Seelig:
De Hügel deruuf räne und rauche dezue isch nüd grad gsund.

Walser:
Hübschi Bärgli.

Seelig:
Ich bin sächzäh Jahr jünger als Sii, aber es chunnt mer ehnder umkehrt vor.

Walser:
En erfreulechi wiissi Uussicht.
E subers Ländli.
Me möcht fascht apploudiere.
Weit Er nüd es Foto mache?
Das Dorf det unge isch Gonte.
Da isch emal e Mord passiert.

Seelig:
Ja was.
I dem Schpilzügdörfli.

Walser:
Der Mädchenmord von Gonten.
Es Meitschi hed schiint’s es angers Meitschi umpraacht.

Seelig:
Ha na nie öppis ghört devo.

Walser:
Isch ja scho läng här.
Mitti letschts Jahrhundert.
Di Iiheimische rede aber hüt na devoo.
Je chliiner s Land, deschto länger d Red.

Seelig:
Was verzelled s’ dänn so?

Walser:
I weis nüt Gnous.
I lose nümm vill zue.
I ha gmeint, Dir wöued hüt es paar Föteli mache.
Vo de schöne Landschaft, u de no eis zwöi vo minere Schönheit.
(kichert)

Seelig:
Wämmer nüd zerscht öppis ga ässe?
S wär Zit.

Walser:
Heit Er scho Hunger?

Seelig:
Sii nüd au?

Walser:
Bordoo, Hunger u Burgunger.
(kichert:
beide lachen ein wenig)

 

3. Szene
Richter: Name?
Anna: Riedsennen Ignazis Nann.
Richter: Dein richtiger Name.
Anna: Anna Maria Seraphina Koch.
Richter: Geboren?
Anna: Am dreiundzwanzigsten August einunddreissig.
Richter: Also noch nicht ganz achtzehn. Du siehst ziemlich saftig aus, für dein Alter.
Anna: Warum hab ich eigentlich kommen müssen, Herr Richter?
Richter: Das finden wir am besten miteinander heraus.
Anna: Ich wüsste nicht, was.
Richter: Nur langsam, Anna. Erzähl mir etwas über deine Freundin Maria Magdalena Fässler selig.
Anna: Die meine Freundin!
Richter: Man sagt’s.
Anna: Sie ist letzthin leider in der Teuchelrose ertrunken.
Richter: Was ist das, die Teuchelrose?
Anna: Die Teuchelrose, das weiss man doch.
Richter: Sag’s mir.
Anna: Die Teuchelrose ist bei uns in Gonten ein ganz kleiner Teich.
Richter: Wo in Gonten?
Anna: Im Wäldchen grad neben dem Weg, wenn man ein Stückweit hinter der Kirche den Hang hinaufgeht.
Richter: Den Hang hinauf zum Hüttenberg, wo du wohnst?
Anna: Ja.
Richter: Und wo der Mazenauer wohnt?
Anna: Ja. Aber weitab von uns.
Richter: Und wo die Maria Fässler gewohnt hat?
Anna: Ja. Näher beim Mazenauer.
Richter: Ihr drei habt also den gleichen Kirchweg gehabt?
Anna: Nur das unterste Stück.
Richter: An der Teuchelrose vorbei?
Anna: Ja.
Richter: Wie weit von der Kirche ist dieser Teich?
Anna: Genau weiss ich das nicht.
Richter: Knappe drei Minuten?
Anna: Dann wissen Sie’s ja.
Richter: Wie tief ist das Wasser in dem Teich?
Anna: Nicht der Rede wert.
Richter: Immerhin tief genug, um hölzerne Känel zum Verschwellen hineinzulegen.
Anna: Wenn es lang nicht regnet, ist die Teuchelrose mehr ein Tümpel als ein Teich.
Richter: Für die Maria Fässler selig hat’s grad Wasser genug drin gehabt. Sagen wir: knapp knietief, nach einem Regen.
Anna: Eher nur schuhtief. Ich weiss es nicht. Ich bin nie hineingestanden.

 

4. Szene

Seelig:
Die Anna Koch und die Maria Fässler waren Töchter mausarmer Kleinbauern.
Die Anna sei aber eine Stolze gewesen, dazu gross und stattlich, ein schönes Mädchen mit langen blonden Haaren.
Liebte Schmuck und Kleider, heisst es, ihre Mutter habe sie stark herausgeputzt.
Und die Anna habe bei Gelegenheit sehen lassen, was sie hatte.
An der Kirchweih in Gonten, am Landsgemeindetag in Appenzell.
Am meisten an Fronleichnam, da nehmen die Appenzellerinnen ihre schönste Tracht und allen Silberschmuck hervor.
Sie sei aber auch eine Gescheite gewesen, vif wie keine andere, weder auf den Kopf noch aufs Maul gefallen.
Wenn’s drauf ankam eher Hornisse als Hummel.
Soll auf Bauernfesten oder wenn Markt war gern mit gutbetuchten Burschen oder fremden Herrchen angebändelt haben.
Hat sich freihalten lassen.
Dafür dann ihrem jeweiligen Galan auch allerhand geboten.
Man sagt nicht, was, aber man weiss schon, was. –
Die Maria Magdalena Fässler hingegen sei eher eine Scheue gewesen.
Eine Stille, eine Ruhige.
Und ziemlich bös unter der Knute ihrer bösen Stiefmutter.

 

5. Szene

Walser:
Woher wüssed Dir das alles?
Sit Er hinger d Büecher?

Seelig:
Ja, über d Anna Koch isch allerhand zämegschriftet worde.
Und wämme d Lüt frögt, verzeleds am e Fremde vilicht meh als susch.

Walser:
I frage nid.
I rede o süsch nid vill mit ne.

Seelig:
Mit de Tökter aber schoo.

Walser:
Das si ja kener Iiheimischi.
Die wüsse nüt.
Tummi Cheibe.
De Hinrichsen het letschti gseit, i söll wider schribe.

Seelig:
Werum nüd?

Walser:
(aggressiv:)
Was schribe!
I hocke ir Aaschtalt, i bi Aaschtalts-Insasse.
Schluss mit Dichte.
I bi fertig mit miner Fantasii.
Ir Aaschtalt hocke u schribe.
E Blödsinn, e Zuemuetig.
Mues eine e Narr si.
U das isch er o, de Herr Obertokter.
Er schribt ja sälber.
Komödie.
Heitere Cheib.
(kichert)


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 549–553.

Erstpublikation: Gerold Späth: Walser Seelig Koch. Ein Mädchen wird ermordet. Hörspiel. Regie: Barbara Schlumpf. Produktion: 3. bis 13. April 1995, Sendedaten: 4. und 10. Juni 1995. Zürich: Schweizer Radio DRS, 1995. Typoskript. S. 2–9.