Literaturland


Karl Steuble

Appezöller Spyl vom Chrieg ond vom Frede

1955

Zur 550-Jahrfeier der Schlacht am Stoss entstanden, zeichnet das Spiel in zehn Szenen die appenzellische Geschichte nach, von der Gründung des «Hofs ze Abbazell» über die Schlacht am Stoss 1405, den Eintritt in den Bund 1513, den «Suterhandel» 1775 oder die «Narregmend» 1829 bis zu den Stosswallfahrten während des Zweiten Weltkriegs. Hier die fünfte Szene um die konfessionellen Spannungen, die 1597 zur Landteilung führten.

Die Musik spielt das Motiv des Kriegs in Moll. Szenerie: Kirchplatz zu Appenzell. Den Hintergrund bildet ein grosses Friedhofkreuz. Bartholome Berweger und Bick Thörig begegnen sich unter dem Kreuz.
Berweger (verwehrt Thörig den Durchpass): Halt! Thörigli! Jetz chooscht nomme wyter!
Thörig: Hescht gmeent? Esoo en Berwegeli mösstmer denn grad no choo! Hescht eppe wele en Hoselopf mache?
Berweger: Hüt chönd meer i de Cherche draa, di Evangelische!
Thörig: Seb ischt nüd wohr! Hüt sönd di Katholische a de Reihe!
Berweger: Was het de Zwääfach Landrod vor vierzeeh Tage bschlosse? Leses emool noe im Mandat, wennt öbehopt lese chaascht!
Thörig: Hörmer uuf mit dem nützige Mandat! Hüt weet sogär Mess glese i de Pfarrchülche z’Appezöll, i bi deer ’s Manndli deför! Chönd no! (Er gibt ein Zeichen nach rückwärts.)
Berweger: Joo, seb weemer denn no luege! Chönd no au!
(Er gibt ebenfalls ein Zeichen. Auf Berwegers Seite erscheint eine Gruppe Volkes unter Führung des reformierten Kaplans Johannes Hess. Er trägt Prädikantentracht. Auf Thörigs Seite erscheint eine gleich grosse Volksschar unter Führung des katholischen Kaplans Ulrich Sutter, der vollständig gerüstet ist zum Messelesen: mit Messgewand, Messkelch, Birett. Die Frauen tragen grosse Armkörbe, sogenannte Eierchrätten mit. Es entsteht sofort eine tumultartige Stimmung.)
Berweger: Jetz weet nomme Mess glese! D’Mess ischt vo de Landsgmeend abgschafft!
Thörig: Seb ischt nüd wohr! D’Landsgmeend loot di alte Brüüch göIte, ond d’Mess ischt en alte Bruuch!
Berweger: Ebe isch gad en alte Bruuch ond sös ke betzli meeh! Ke Woot stoht vo de Mess i de hälege Gschreft!
Ueli Knill: Seb behoptischt du ond de Wälti Klarer z’Hondwil osse!
Matthias Ransberg: Aber wemme alls wett globe, was eueren Diepolt Hueter behoptet, wärs uus ond fettig mit em chreschtlege Bekenntnis!
Johannes Hess: Halt, ehr Manne! (Es tritt etwas Ruhe ein.) Wer chaa bewyse, dass d’Mess i de hälege Gschreft stoht?
Ulrich Sutter: De fryli stoht d’Mess i de hälege Gschreft! De Heiland het si ygsetzt bim letschte Obedmohl.
Johannes Hess: Wieso? Wie chaame das bewyse?
Ulrich Sutter: De Heiland het gsätt: «Das ischt minn Lyb» – «Das ischt mys Blued.»
Johannes Hess: Das ischt nüd esoo wöötlig zneh! De Heiland het gad wele säge: «Das bedüüted min Lyb» – «Das bedüüted mys Blued.» D’Aposchtel sölid ’s Obedmohl halte, aber nüd dere Cheezli vebrenne, di Hälege aabette ond mit em Messlese en derege Grempel aafange!
Ueli Knill: So ehr Lüüt! Lönd ehr eu das büüte? Lönd ehr im katholesche Appezöll der alt Globe esoo veläschtere?
Bick Thörig (packt den Prädikanten an): So du Zwinglimaa! Du hescht doo nütz velore! Bis still mit dyne chätzeresche Spröch! Mach dass du fottchooscht, du Schölm, du Seeledieb! Sele ehr Wyber, lönd jetz luege, was ehr i euere Eierchrätten inne hend!
(Es entsteht ein grosser Tumult. Die Weiber nehmen Steine aus den Eierkörben und werfen sie gegen Hess. Die Reformierten verwehren den Katholischen den Weg.)

Ein Sondersiech (steht plötzlich unter dem Friedhofkreuz. Er trägt einen grauen Mantel, Handschuhe, ein Tuch um die Nase, in der einen Hand einen Stab, in der andern Hand eine Holzklapper, die er gewaltig schlägt.)
Die Menge (schreit auf): En Siech! En Siech! Jeses! ’s Leuegsicht!
(Sie fahren auseinander und bilden wieder zwei Gruppen wie am Anfang.)
Der Sondersiech: Joho! En Siech bini! Aber wenn di Gsondne de Vestand velore hend, so mönd d’Sieche choo ond ene de Chopf wieder graad herisetze! Schemid eu! Schemid eu! Di Refimiete so guet wie di Katholesche, ond di Katholesche so guet wie di Refimiete! Luegid doo uni ufs Chrüüz! (Er zeigt auf das Friedhofkreuz.) Der doo obe het d’Liebe ond de Frede ppredeget ond ehr predigid de Stryt ond de Hass! Ehr mönd gär kenn neue Globe sueche! Er söttid gad der alt Globe wider besser lebe! Am sebe fählts! Joho! Am sebe fählts!
(Der Sondersiech tritt rasch ab. Die Gruppen gehen beschämt nach beiden Seiten fort, so dass die Bühne vollständig leer wird.)

Der Chronist:
Soo isch jetz gsee i ösem Land,
wos gwöffled hend oms Heilands Gwand.
Enn Setzchopf het der ander gstählt;
i globe: ’s het a beide gfählt!

Soo wöötlids jetz fascht honded Johr,
ond stendig grösser weet die Gfohr,
dass enn deree no gaaz uufrybt,
ond nütz as Schääten (1) öbeblybt.

Doo will de Nuntius vo Rom
gi flicke choo das abzeit (2) Trom.
Ond z’Innerrhode hendsis geen,
ond Osserhode blybt deheem.

Chor des Krieges:
No wyter gmacht im glyche Styl!
Meer gfallts vetaasered guet, das Spyl!
Zom Fredesabschloss isch no wyt;
z’eescht choont no de Kalenderstryt.

Chor des Friedens:
I bi scho lang förs Fredemache!
’s nötzt nütz em Cheche ond em Schwache
das malefiz denand Vezööne (3)!
’s wär Zyt, ehr wöörid eu vesöhne!

[…]

 

(1) Scheitlein, Späne im Sinn von Scherben (Red.)
(2) abgerissener Faden (Red.)
(3) das einander Verzürnen, Zornigmachen (Red.)


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 75–77.

Erstpublikation: Karl Steuble: Appezöller Spyl vom Chrieg ond vom Frede. Zur 550-Jahrfeier der Schlacht am Stoss, 1405–1955. Appenzell: Genossenschafts-Buchdruckerei, 1954. S. 37–41.