Literaturland


Sabine Wen-Ching Wang

Managing Professionals

2007

536 Seiten Interview-Transkriptionen, die bei einem Forschungsprojekt zu Führungsarbeit in Spitälern entstanden waren, legte Sabine Wen-Ching Wang ihrem Hörspiel zugrunde. Sie stellte thematisch Verwandtes nebeneinander und übersetzte ganze Passagen ins Schweizerdeutsche. Im nachfolgenden Ausschnitt aus ihrer Montage sprechen drei Stimmen.

1
Ärzte erleben eine sehr ständisch orientierte Sozialisation.
Führungsperson können Sie werden als Psychologin, ohne Ausbildung, als Ökonomin, Juristin, als Mediziner …
Chirurgie-Chefärztin werden Sie nur, wenn Sie Medizin studiert haben.
Wenn Sie Assistentin gewesen sind –
– wenn möglich in Amerika.
Oberärztin.
Eventuell noch leitende Ärztin.
Das perpetuiert natürlich eine Berufsgruppenkultur.

2
Es gibt nur eine Berufsgruppe, die das noch extremer hat.
Das ist die katholische Kirche, die römische Kurie.

1
Selbstverständnis aus dem letzten Jahrhundert.
Tradierte Abschottung gegen aussen, wobei untereinander –
– untereinander hat man dann schon Futterneid –
– redet auch schlecht übereinander –
– aber wehe, es kommt einer von aussen –
– da werden die Reihen geschlossen.

Da haben wir wieder den Bogen zur Familie.
Ist ja auch in der Familie so.

3
D Familie.
lacht

1
lacht

2
Ökonomen –

1
Jetz mues i langsam ufpasse, was i –
lacht

2
Ökonomen haben eine andere Professionskultur.
Ein Mitarbeiter wird halt ausgewechselt, wenn es die Zahlen erfordern.
Und bei uns, ja –
– geht das vielleicht auch –
– wird der vielleicht auch ausgewechselt –
– aber es geht nicht so schnell –
– weil wir … ja …
Pause
– ja.

Pause

2
Ökonomen sehen nur die Kosten.
Die Definition der Qualität ist bei uns ja relativ schwierig.
Qualität lässt sich nicht nur an Kosten und Ertrag messen, sondern auch an der Zufriedenheit der Leute.
Und das, was man dabei herausbekommt, ist dann vielleicht sogar volkswirtschaftlich falsch.
Wenn die Alten noch älter werden, zum Beispiel.
Ja.
lange Pause

1
D Familie.
lacht
D Arztfamilie hät drüü oder vier Chind.
I ha mal zu aim spontan gsait: «Aha, für drüü isch Zit.»
Sini Antwort:
I ha de Frau drüü gmacht, demit si öppis z tue het.

Privatläbä und Familie hät me dihai, und irgendwenn verlüürt me doo dä Aaschluss.

3
Er isch jo immer im Spital –

1
– hät das nie erläbt –

3
– isch immer im Spital –

1
– hät s Gfüül, er heg sis Läbä gopferet für s Spital, und er isch dää, wo do isch.
Tempo – Crescendo – 2/3 murmeln mit
Er schtoot au i de Nacht uuf, zum Notfall machä, au dä Chefarzt schtoot uuf, wenn de Assischtent aalüütet und sait, me hend doo es Problem, i chume nöd witter.
Da isch für inn selbverschtändlich, er schtoot uuf, und denn hät er s Gfüül, i bi aigentli dää, wo s Spital betreut. Und du als Verwalter, du machsch jo nünt als luege, das s Geld inechunnt, das d Honorar überwise wärded, und denn goosch no chli mit de Politiker go schwätze.

Pause

2
Chefarzt ist nicht gleich Chefarzt.

1
Es git zwai Arte.
Isch au e chli e Generazionefroog.
Aso mit em ainte Typ cha me –
– de ainti Typ cha Dischtanz nää zu demm, was er macht.
De chan au selbschtkritisch sini Arbet beurtaile.
Mit demm cha me über s Syschtem rede.
Über Funktionswiise im Spital.
De verschtoot, das es Strukture gää mues, wo dene vo Unterneme
entschpräched.
De anderi Typ –
De anderi Typ –
– de verschtoot das nööd.
Für dää isch ales bittere Ernscht.
Er isch überzüügt, das er x-tuusig Lüüt scho s Lebe grettet hät.
Das ali Lüüt liide würed, wenn s inn nöd gääbt.
De hät sich iigrichtet – mit sinere Familie.
Aso mit sinere Familie im Spital, main i.
Mit däne, wo n er mit ne abhängt, mit dene, wo n er zämeschaffet.
Da isch s Füerigsprinziip.
Aso s Ganz funktioniert soo, wie n er funktioniere will.

Pause

2
Also wenn ich schon mal Gelegenheit dazu habe, würd ich sagen, ich sei ein fundamentaler Gegner des CEO-Systems.

1
Wir haben in den Spitälern ja kein CEO-System.

2
Wenn Ihr mir einen CEO vor die Nase setzt –

1
Das ist nicht vergleichbar mit der Privatindustrie.

2
– dann werd ich zum fürchterlichsten Querulanten, den man sich vorstellen kann.

1
Das ist nicht vergleichbar mit der Privatindustrie, wo kulturmässig klar ist, dass alle akzeptieren, das ist der CEO.
Und wenn jemand den Anschluss verpasst aus dem und dem Grund, dann schmeisst er den raus und holt jemand anderen.
Im Spital ist das nicht so.
Ich denke, das ist auch naturgemäss nicht so.
Der Arzt in seiner Kernfunktion hat für das Spital natürlich eine extrem wichtige Rolle.
Weil er den direkten Patientenkontakt hat.
In dem Sinn lässt sich das Spital weniger mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen vergleichen, sondern eher mit einem Orchester, mit einer Oper.
Der Pavarotti hat dem Intendanten gegenüber eine ganz andere Position –

2
– gehabt –

1
– als der Finanzchef vom Betrieb XY seinem CEO gegenüber.
Denn Sie gehen ja dahin, weil Sie den Pavarotti hören wollen –

2
– wollten –

1
– und nicht den Intendanten.
Und der Patient kommt zum Professor Doktor XY, nicht zu mir.
Also, das ist ein Unterschied.

2
Ja.
lange Pause
steht auf
Medizin ist keine basisdemokratische Veranstaltung.
Ein Chirurgie-Chefarzt wird in den Operationssaal gerufen, wenn schon alles verkachelt ist.
Er lässt alles fallen.
Geht hin.
Muss innerhalb von Minuten die Situation begreifen.
Muss klar sagen:
Du machst das.
Du das.
Du das.
Ich das.
Extrem autoritäre –
– gezwungenermassen autoritäre Situation.
setzt sich

1
Eine Stunde später kommt er wieder heraus.
Kommt an eine Sitzung.
Und ich erwarte plötzlich von ihm, dass er teamfähig ist.
Dass er auf andere hört.
Dass er mit allen entscheidet.

Ich verlange von einem Chefarzt das Talent zum Rollenwechsel von einer zur anderen extremen Situation.

1/2/3
schauen ins Publikum


Publiziert in: «Ich wäre überall und nirgends». Appenzeller Anthologie. Literarische Texte seit 1900. Herausgegeben von der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2016. S. 273–277.

Erstpublikation: Sabine Wen-Ching Wang: Managing Professionals. In: Arne Scheuermann, Peter Berchtold (Hrsg.): Neue Darstellungsformen. Künstlerische Forschung zu Führungsverständnissen im Krankenhaus. Zürich/Sulgen: Verlag Niggli, 2011. S. 102–115, hier 108–112.