Liebe Mitdenker_Innen, willkommen im neuen Jahr!

Nach meiner Lesung an der Bachelor-Feier in Biel, wo ich drei Jahre lang das Schreiben studierte, studierend schrieb, und auch viel spazierte, kam ein Mann um die sechzig auf mich zu. Er war ein wenig pikiert über die Textstelle, die ich vorgelesen hatte, und meinte so ungefähr: „Ein äusserst grausames Bild von Männern zeichnen Sie da.“ Daraufhin holte er aus, behauptete, dass es Väter wie jenen, den ich in meinem Text beschrieb, heute nicht mehr gäbe, dass ich die anderen, die guten Männer, vergessen würde, und er bat mich schliesslich, im nächsten Text an Leser wie ihn zu denken.

Er meinte damit, frei übersetzt: Junge Frau, bitte seien Sie im nächsten Roman ein wenig netter.

„Ich denke beim Schreiben nicht an Leser“, sagte ich zu dem Herrn, ein wenig angekratzt, denn Rückmeldungen interessieren mich wahrlich, aber nicht solche von belehrender Art.

Denke ich beim Schreiben wirklich nicht an meine Leser? Schreibe ich einen Blog, eine Kolumne, tue ich es ganz bestimmt. Doch in der langen Zeit, in der ich an meinem Roman schrieb, gestaltet sich das etwas anders.

Wenn ich an meinem ganz persönlichen Text schreibe, bin ich mir zuerst selbst eine Art Filter.

Ich warte auf den Stoff, der in meinen Adern pulsiert oder mich von aussen einholt. Er kann mich erreichen, wenn ich ein Buch lese, wenn ich spaziere, im Zug sitze; mitten in einem Gespräch kann es plötzlich passieren, dass ich mein Notizheft zücken muss und sich Wörter aufs Papier zeichnen. Fast wie von alleine. Das ist der schönste Teil vom Schreiben, der mystischste.

Danach heisst es, mit dem Stoff, dem bereits Geschriebenen, umzugehen. Das braucht volle Konzentration. Was charakterisiert die Figuren? Sind sie deutlich genug gezeichnet? Wie verläuft die Geschichte? Wie gestaltet sich die Sprache? Immer wieder ist es schwierig, zwischen der Innen- und der Aussenposition zu balancieren. Als Autorin bin ich sehr stark IM Text, und das muss ich auch sein, um zu verstehen, zu durchleben und wiederzugeben. Andererseits brauche ich einen Aussenblick, ein Abwägen dessen, was für den/die Leser_in verständlich wird und was nicht.

Aha, da haben wir sie, die Leser! Und ich denke ja doch an sie!

Wenn ich mich jedoch frage, ob ich beim Verfassen meines Romanes an konkrete Leserinnen dachte, und wenn, dann an wen – so fällt es mir schwer, eine Antwort zu geben. Wahrscheinlich ist es ein inneres Du, eine Art Schatten, an den ich mich wende, wenn ich schreibe. Und zuweilen erschrecke ich, wenn es dann Menschen aus Fleisch und Blut sind, die den Text vor sich haben, mit den Fingern darauf zeigen und sagen: Der Teil hier ist gut, aber das und das und das geht gar nicht!

(PS, ein Buchtipp zum Thema Kommunikation zwischen Männern und Frauen:

Rebecca Solnit: Wenn Männer mir die Welt erklären. Essays.)

– Laura Vogt