VOM ICH

In der Kolumne von letzter Woche deutete ich kurz die Differenz zwischen dem Autoren und dem Erzähler an. Tomas Espedal, der norwegische Autor, ist nicht gleichzustellen mit Tomas Espedal, dem Erzähler in seinem Buch.
Wer oder was aber steckt hinter dem Ich in einem literarischen Text? Dazu sagte Ingeborg Bachmann in ihrer dritten Frankfurter Vorlesung im Wintersemester 1959/60 Folgendes: „Und einige werden wohl meinen: Wie könnte man sich hinter dem Ich verbergen, das ist doch am wenigsten verborgen und so eindeutig – Ich – das brächten wir ja selber auch noch fertig, von uns geradeheraus zu reden, ohne Verstellung.“
Schreibe ich als Autorin aus der Perspektive eines Ichs, und tue ich dies aus meinem autobiographischen Fundus heraus, so hat sich dieser autobiografische Stoff schon mit dem ersten Wort von mir gelöst, eine Art Transformation geschieht, und aus dem vermeintlich Autobiografischen wird stets Fiktion.
Während der Arbeit an meinem Roman erging es mir folgendermassen: In dem Moment, in dem ich „Ich“ schrieb, war dieses Ich und der damit zusammenhängende Gedanke, die Handlung, von mir distanziert und gewann eine eigene Existenz. Das Ich ist eine Übersetzung. Das Ich (und in diesem Fall die Erzählerin) ist eine Loslösung von mir, der Autorin. Es bleibt im Prozess des Schreibens natürlich trotzdem eng mit mir verkeilt.
Damit beginnt ein Spiel. Als Autorin führe ich das Ich in meinem Text, ich lasse es darin auf- und abtauchen, lasse es in Handlungen gehen. Und doch hat das Ich auch Macht über mich, die Autorin, indem es an Orte vorstösst, die mir zuvor nicht bekannt waren, die eine Auseinandersetzung in unterschiedlichsten Bereichen hervorrufen.
Das Ich der Erzählerin ist niemals das Ich der Autorin.
Das Ich sei nicht beweisbar, sei ohne Gewähr, sei eine Chiffre, sagte Ingeborg Bachmann.
Und weiter: „Denn was ist denn das Ich, was könnte es sein? – ein Gestirn, dessen Standort und dessen Bahnen nie ganz ausgemacht worden sind und dessen Kern in seiner Zusammensetzung nicht erkannt worden ist.“

Seien Sie auf der Hut vor diesem Ich, diesem scheinbar Festmachbaren. Das Ich greift Sie von hinten an während Sie es lesen und meinen, es in Form der Autorin vor sich zu haben.

(Zitate aus: Ingeborg Bachmann, „Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung“, München: Piper Verlag GmbH)