Was ich weiss. Oder nicht weiss.

Unlängst beim Schauen des Literaturclubs auf SRF fragte mich meine Sofagesellschaft, ob Schriftsteller sich beim Schreiben tatsächlich so viel Psychologisches überlegen würden, wie es Kritiker oder andere literarisch Professionelle nach der Lektüre gerne hineinlesen und in so Runden wie dem Literaturclub dann diskutieren. Meine spontane Antwort war «Nein, tun sie nicht». Nun, ob das für alle gilt, mag ich trotz der undifferenzierten Aussage meinerseits eigentlich nicht behaupten. Ob es aber auch wirklich für mich und meine Arbeit gilt? Ein paar Überlegungen hierzu:

Immer wenn mich Leute fragen, worum es denn in meinem Text, sagen wir einem Theaterstück ginge, sage ich immer: «Ich bin ganz schlecht darin, über meine eigenen Texte zu sprechen». Und tatsächlich fällt mir das, ganz ohne kokett sein zu wollen, schwer. Ich bin dann jeweils froh, wenn jemand anders – ein Jurymitglied beispielsweise, das seine Auswahl meines Stückes zum Festival rechtfertigen muss oder auch ein Lektor, der das neuste Schnyder-Stück den Theatern verkaufen will – über den Text geschrieben hat. Ebendies zitiere ich dann jeweils, wenn ich über mein Stück reden soll. These hierzu: Aussenstehende wissen zuweilen mehr über den Text als ich oder können sich zumindest besser darüber ausdrücken.

Am Schreiben für das Theater mag ich insbesondere, dass mein Text nach seiner «Fertigstellung» durch mich noch weitere Stationen durchläuft (diesen Umstand bezeichne ich jedoch gleichzeitig als Berufsrisiko, es ist also eine ambivalente Sache). Im Idealfall (Berufsrisiko!) sieht der Regisseur in meinem Text mehr und Neues und bringt dies in der Arbeit mit den Schauspielern zu Tage. Und mit Neuem meine ich Ebenen und Schichten der Geschichte oder Eigenschaften der Figuren, welche mir bis dahin verborgen geblieben waren. Oder die ich zumindest nicht so hätte benennen geschweige denn beschreiben können. Auch hier also gehört es zum Prozess, dass jemand anderes Aspekte an und in meiner Arbeit entdeckt, welche ich nicht geplant oder eingeschrieben hatte. Zumindest nicht bewusst.

Ein gutes Stichwort in diesem Diskurs: «bewusst». Wie bewusst schreibe ich eigentlich? Kann ich mir überhaupt all dessen bewusst sein, was ich in einem Text schreibe oder, um beim Beispiel des Theatertextes zu bleiben, einer Figur zuschreibe? Für mich ist es essentiell, meine Figuren zu kennen – ihr Wesen, ihre Vergangenheit, ihre Wünsche – um ihre Geschichte auch glaubhaft erzählen zu können. Im Laufe des Schreibprozesses lerne ich sie immer besser kennen, gewinne sie lieb, kann über sie lachen, mich über sie ärgern. Kann ich aber alles über sie wissen? Ich glaube nein. Vergleich zum echten Leben: Auch ein reflektierter Mensch wird neue Aspekte an sich entdecken, wenn er mit einem guten Psychologen spricht. So wie ein guter Regisseur in einem Text Aspekte entdeckt, die der Autorin nicht bewusst waren. Oder eben auch ein Kritiker im Literaturclub, der als Psychologe für den (auch reflektierten) Text waltet.

Rebecca C. Schnyder