Wasserglas vs. Performance

Im letzten Beitrag habe ich vom erfreulichen Umstand berichtet, dass die Lesungen an der Leipziger Buchmesse viel Publikum angezogen. Noch mehr Publikum allerdings hatte die Poetry-Slam-Lesung, an die ich beim Messewandeln geriet. Ich denke, dass man dies durchaus als symptomatisch bezeichnen darf. Ebenfalls nicht allzu lange her ist eine Diskussionsrunde zu ebendiesem Thema, also klassische Literatur in Beziehung zu Poetry-Slam, an der ich teilgenommen habe. Ich finde das ein durchaus interessanter Diskurs. Hierbei sollte es nicht darum gehen, die beiden Genres gegeneinander auszuspielen, jedoch kann der Vergleich, oder die Gegenüberstellung zu aufschlussreichen Erkenntnissen führen.

Meine persönliche Ausgangslage ist klar: ich gehöre der «klassischen» Literatur an. Poetry-Slams habe ich bis anhin eine Handvoll besucht, bin immer wieder fasziniert und begeistert ob der sprachlichen Virtuosität, die manche Slammer an den Tag, bzw. in ihre Texte legen. Ich gestehe zudem, dass mich der performative Aspekt des ganzen selber auch reizt. Jedoch fehlt mir die Courage mich so direkt der Wertung des Publikums auszusetzen. Da denk ich immer wieder «Chapeau!». Neben vielen Unterschieden zwischen den Genres finde ich einen ganz bezeichnend und zwar den performativen Aspekt. Lesungen in der klassischen Literatur werden gern als Wasserglaslesungen bezeichnet, will heissen: ein Tisch, ein Glas Wasser, ein Text, aus dem gelesen wird. An dem ist an sich ja auch gar nichts falsch. Dennoch können wir Wasserglaslesenden einen ausschlaggebenden Punkt vom Poetry-Slam abschauen. Und zwar die Performance. Nein, das heisst nicht, dass wir von nun an auch stehend, mit viel Verve und tonstarker Untermalung lesen sollten, auf den Tisch und das Wasserglas verzichten und im besten Falle noch auswendig vortragen sollen. Aber zu überlegen, WIE wir lesen, dazu möchte ich anhalten.

Leider komme ich immer mal wieder in Wasserglaslesungen zu sitzen, wo monoton, zu schnell, ohne viel Leidenschaft, individuelle Betonung und so weiter und so fort gelesen wird. Und das, da bin ich ehrlich, nimmt mir jeweils alle Lust, das Buch im Anschluss zu kaufen und zu lesen. Eine Lesung soll, darf und kann auch Werbung sein. Für das Buch und den Autoren, die Autorin. Lesen ist nicht gleich lesen. Was aber dagegen oder vielmehr dafür tun? Im Anschluss an die Lesung Feedback vom Publikum holen, bei Lesungen von Berufskollegen genau hinhören («Was gefällt mir, was nicht»), sich selber aufzeichnen und ansehen, bzw. -hören, bei einem Schauspieler in die Beratung gehen… es gibt unterschiedliche Möglichkeiten den eigenen Lesestil zu analysieren und zu verbessern. Oder aber auch ganz einfach an einen Slam gehen. Es lohnt sich.

Rebecca C. Schnyder