Zur Kritik

Wir wünschen sie uns und fürchten sie doch: die Kritik am eigenen Text. Wer eine Neuveröffentlichung hervorbringt (er-)wartet oder hofft auf eine Besprechung in einer Zeitschrift oder Zeitung. Wenn so eine vorliegt, wird dann aber doch mit einem gewissen mulmigen Gefühl die Seite soundso aufgeschlagen. Denn wer weiss, was einen erwartet?

Der Duden bezeichnet Kritik als kritische Beurteilung, Besprechung einer künstlerischen Leistung, eines Werkes. Beispielsweise in einer Zeitung oder im Rundfunk. Kritisch wiederum heisst unter anderem «nach künstlerischen Massstäben gewissenhaft, streng prüfend und beurteilend». In der Literaturpraxis heisst das ganz einfach: Jemand tut öffentlich seine Meinung zu einem Text oder Buch kund. Und derjenige, der das tut ist der Kritiker. Wir wünschen und fürchten zugleich – ist der Kritiker also Freund oder Feind? Oder ist das abhängig davon, was und wie er kritisiert, wie sein abschliessendes Urteil ausfällt, ob er den Stempel «Mag ich» oder «Mag ich nicht» wählt, oder gar «lesenswert» vs. «nicht lesenswert»? Auch schlechte Werbung ist gute Werbung heisst es gerne. Weil immerhin über den Text, das Buch geschrieben wird und somit mehr potentielle Leser davon erfahren. Und immer wieder höre ich, dass auch eine negative Kritik die Leute zur Lektüre ermutigen könne. Im Sinne von: «Das nimmt mich jetzt aber wunder, ob das Buch wirklich so schlecht ist».

Buchkritiken mögen ganz unterschiedlich auf die Leserschaft wirken. Wie aber geht man als Schreibende mit ihr um? Im speziellen mit der negativen. Gelassen hinnehmen? Sich freuen, dass überhaupt über das eigene Buch geschrieben wird? Ratsam ist wohl in jedem Falle, eine gewisse Distanz zu wahren. Heisst: sich der Subjektivität der kritischen Äusserung bewusst ein. Ob das nun die Aussage einer Elke Heidenreich oder eines Manfred Papst ist. Der Kritiker – so kompetent er auch sein möge – kann doch nicht mehr, als seine eigene Meinung äussern. Unvoreingenommenheit in dieser Sache ist eine Utopie. Nur steht das so nicht in der Kritik, diese wird allgemeingültig formuliert. Steht da: «Die Geschichte überzeugt nicht», sollte man sich, sei es als Schreibende oder als Leser, das «mich» noch dazu denken. Peter Stamm geht sogar noch weiter und meint in einem von ihm verfassten Artikel zum Thema Kritik an der Kritik, dass die Kritiker oftmals intuitiv urteilen – «Urteile sind Gefühlssache», sagt er – und für ebendieses Urteil dann erst im Nachhinein eine Argumentation konstruieren. Nachzulesen in der aktuellen Ausgabe vom «literarischer monat».

Und abschliessend zum Thema Kritik am Buche ein weiteres Zitat aus erwähnter Zeitschrift, es stammt vom Kulturjournalisten Stefan Zweifel: «Die Literatur und die Psychoanalyse haben einiges gemeinsam, beides sind sie, ernsthaft durchgeführt, je unendliche, nie abgeschlossene Prozesse. Die Literaturkritik sollte sich nicht an einem falschen Verständnis des Therapieprozesses orientieren und den Text als machtlosen Patienten sehen». Wollte ich eine Beurteilung nicht vermeiden, würd ich schreiben «schön formuliert».

Rebecca C. Schnyder