Meine zwei Hände

Es gibt einen wichtigen Satz, der mir in meinen Schreibanfängen mit auf den Weg gegeben wurde und mich bis heute begleitet. Weil er nämlich so sinnvoll ist, wie er simpel ist. Es war später Abend nach einer Theaterprobe auf einem Balkon in Bern. Bei einem Glas Wein teilte ich meine Unsicherheiten bezüglich der Entscheidung, mein Studium abzubrechen und mich ganz dem Theater und dem Schreiben zu widmen mit meinen Kollegen. Ich fragte einen der anwesenden Schauspieler, ob er denn nie Zukunftsängste hatte – ganz simple materielle – als er sich für den Schauspielberuf entschied. Er zuckte mit der Schulter und meinte bloss: «Warum? Ich habe doch zwei Hände zum Arbeiten».

Ich kenne wenige Schreibende (schon gar nicht persönlich), welche ausschliesslich von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben. So gäbig wie der Martin Suter wohnen nur die wenigsten von unserer Berufsgattung. Was zu einem gewissen Grad in Ordnung ist, der Anspruch in einer Villa zu wohnen ist auch etwas übertrieben. Aber leben, bzw. überleben müssen wir alle, auch wir Autorinnen und Autoren. Nur oft stellt sich die Frage: Wovon?

Ich brach damals tatsächlich mein Studium ab und begann zu Schreiben mit dem Ziel Autorin zu werden. Und immer wieder wenn mir Zweifel kamen, Ängste wovon ich leben sollte (beispielswiese in dem Sommer als ich meinte, mich doch noch als Flight Attendant bewerben zu müssen), dann habe ich mich an jenen Moment auf dem Balkon erinnert und gedacht: Ich habe zwei Hände zum Arbeiten. Und Arbeiten tat ich. Nicht nur schreibend, nein, ich sass auch an der Migros-Kasse, ich habe Stadtführungen gemacht, Flyer verteilt, den Kunden von mobilezone versucht das neue Samsung Galaxy S zu verkaufen und noch heute gehe ich putzen. Ist das schlimm? Nein. Ich finde nicht. Gefällt mir die Vorstellung, mich lediglich dem Schreiben widmen zu können und alle ökonomischen Sorgen hinter mir zu lassen weil inexistent? Natürlich. Ist das realistisch? Ich denke nicht.

Mittlerweile bin ich sogar überzeugt davon, dass eine Tätigkeit ausserhalb des Schreibens nicht nur notwendiges Übel ist sondern auch befruchtend wirkt. Ganz nach dem Motto: Wie soll ich über die Welt schreiben, wenn ich mich nicht mit ihr befasse? Und die Welt im eigenen Atelier und Kopf zählt hier nicht. Die Schreibarbeit ist oft genug einsam, das stille Kämmerchen ein eigener Kosmos. Aus diesem immer wieder auszubrechen empfinde ich als elementar. Beispielsweise beim Servieren im Restaurant. Wie viele Sprachmuster ich mir dabei schon abgehört habe, Menschen beobachten konnte, welche wunderbare Vorlagen für Figuren abgaben… Ich möchte es ehrlich nicht missen. Und: Ist der ökonomische Druck etwas gemildert, schreibt es sich leichter, meine ich. Weil Ängste und Zweifel sind normal, aber sie blockieren. Sie halten einen dazu an, sich selber Steine in den Weg zu legen. Schlimmstenfalls verhindern diese Steine, dass man überhaupt zu schreiben beginnt. Bevor es soweit kommt, am besten ein Papier hervornehmen, ein grosses, und mit dicken Lettern darauf schreiben: «Angst? Warum? Ich habe doch zwei Hände zum Arbeiten». Und dann diese zwei Hände nutzen, um zu schreiben. Das mit den übrigen Arbeiten kommt früh genug.

Rebecca C. Schnyder