Die Vorstellung

Die Vorstellung, dass Goethe bei Kerzenschein an seinem Sekretär sass und in einem einzigen Schwung den Erlkönig mit Feder und Tinte zu Papier brachte, ist eine ebenso schöne wie absurde Vorstellung. Das sage ich anderen und mir immer wieder, wenn es um meine Arbeit als Autorin geht.

Schreibende arbeiten oftmals gerade dann, wenn es aussieht, als würden sie nichts tun. Beispielsweise beim Spaziergang im Park.

Sei dein härtester Kritiker, oder anders ausgedrückt: Kill your Darlings.

Zuweilen vergesse auch ich das – und leider ist Selbstgefälligkeit der Todesstoss für jeden Text. Der Grat zwischen kritischem Betrachten der eigenen Arbeit und der Überzeugung, grundlegend aber doch gut zu sein ist ein schmaler, und ziemlich schwierig zu finden. Wenn ich meinen eigenen Text nicht gut finde, wie soll das ein anderer?

In der Welt der Künstler wimmelt es von narzisstischen Selbstdarstellern. Nun muss es aber einen Grund geben, warum ebendiese vielfach die Erfolgreichen sind (zumindest für eine Zeit lang).

Der Ausdruck „Hype“ ist aber per se ein zeitlich begrenzter, also finiter Begriff, was mich zu der Frage bringt, ob ich den für mich haben wollte. Die Vorstellung fünf, meinetwegen zehn Jahre gehypt zu werden, um dann umso mehr mit dem Loch danach zu kämpfen, behagt mir nicht.
Oder anders gesagt: Die Künstlerin in mir will Erfolg, die Bürgerliche in mir Erfüllung. Und ich will mich nicht auf die Erfüllung qua Erfolg verlassen. Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man auch.

Graffiti und Street Art-Legende Leonard McGurr, besser bekannt als Future, sagte mal: „Sechzig Prozent meines Lebens präsentiere ich mich als Künstler, die restlichen vierzig versuche ich, das zu verhindern.“ Das ist sympathisch und spricht mir zuweilen aus der Seele. Freischaffende Autorin zu sein, kann genauso erfüllend sein, wie deprimierend.

„Schreibe jeden Tag. Auch wenn es nur ein einziger Satz ist.“ Ein guter Rat, der mir mitgegeben wurde auf dem Weg zum Schreiberdasein. Ich glaube auch heute noch an ihn. Und befolge ihn doch zu selten.

Ich warte auf den Tag, an dem die zeitgenössische Dramatik den gleichen Stellenwert hat wie andere zeitgenössische Literatur. Die Leser kaufen schliesslich lieber Stamms «Weit über das Land» als Goethes «Werther». Warum will der Theaterzuschauer aber lieber Shakespeares «Othello» sehen als Schimmelpfennigs «Der goldenen Drache»?

Braucht die Kunst – welche Form auch immer – die Exzentrik? Wenn ja, was mach ich denn dann?

Schreiben ist wie atmen.

– Rebecca C. Schnyder