Welt anfassen

Grüezi. Und Dank an Rebecca C. Schnyder für die Übergabe des Stafettenstabs. Es ist zugleich die Übergabe von Schreibthemen, die auch mich bewegen: Worüber wir schreiben, wann wir schreiben, was das Selbstverständnis als Autorin ausmachen könnte, wovon wir eigentlich leben, was wir eigentlich lesen und wo Literatur passiert. Ich werde also dieses Feld auch wieder beackern und dabei versuchen, „mit Fantasie und ihrer rechten Hand, der Literatur, Horizonte zu öffnen“ (Monika Slamanig). Und als Startrampe für die Fantasie und den zu erweiternden Horizont eignen sich Klischees prima:

Grüezi. Und Dank an Rebecca C. Schnyder für die Übergabe des Stafettenstabs. Es ist zugleich die Übergabe von Schreibthemen, die auch mich bewegen: Worüber wir schreiben, wann wir schreiben, was das Selbstverständnis als Autorin ausmachen könnte, wovon wir eigentlich leben, was wir eigentlich lesen und wo Literatur passiert. Ich werde also dieses Feld auch wieder beackern und dabei versuchen, „mit Fantasie und ihrer rechten Hand, der Literatur, Horizonte zu öffnen“ (Monika Slamanig). Und als Startrampe für die Fantasie und den zu erweiternden Horizont eignen sich Klischees prima:

Der Appenzeller, der den Bodensee noch nie gesehen hat

Er schnitzt Holzbeine, denn er wünscht sich einen Piraten. Verziert sie mit  spiralförmig laufenden Kerben und Blumenreliefs – ein Pirat wird allerdings nicht daraus, und die Holzbeine locken auch keinen an.

Der Bodensee wächst in der Vorstellung des Schnitzers zu etwas Ungeheurem an, das den Rand der Welt berührt, zum Ort, an dem die Wetter gemacht werden und wo die Piraten kreuzen. Und eben – von denen will er einen, am liebsten bei sich oben am Rain. Unermüdlich schnitzt er seine Holzbeine, jedes wird Unikat, aber nicht Pirat. (Nur ein paar auswärtige Spaziergänger bestaunen die seltsamen Holzprügel, die an der Hauswand lehnen. Würde sich der Schnitzer auch nur einmal mit ihnen unterhalten, wüsste er hinterher wohl mehr über sein Werk …)

Die Fantasie aber trägt den Schnitzer über die Holzbeine der Piraten zu ihren Schiffen. Damit bereist er die Welt bis an die Ränder des Bodensees und darüber hinaus, steht ein Unwetter auf einem Rettungsfloss durch und entdeckt Inseln, auf  denen der Tabak wächst. (Immerhin! Gute Gedankenleistung eines Weltfremden!)

Dort bleibt er vorläufig; denn diese Klischeefigur ist nur ein Produkt unserer Vorstellung, und dieser erlauben wir gern, einen Gedanken breit neben der Welt herzulaufen.

Dieses Verbreitern der Welt funktioniert auch im stillen Kämmerlein, so lange dort ab und zu der Föhn durchzieht. Ich bin jedoch ganz bei Rebecca C. Schnyder, die fragt: Wie soll man über die Welt schreiben, wenn man sich nicht mit ihr befasst? Nochmals ein kurzer Blick auf die exotische Bodenseeinsel, wo der Schnitzer immer noch verträumt unter einer Palme sitzt und auch ein Schreiber sein könnte: Dieser Appenzeller ist zwar nicht komplett hinter dem Mond; immerhin hat ihn die Idee von Piraten erreicht und inspiriert, bis ins Tabakland hinaus.  Aber erst wenn er noch mehr wagt als Holzbeine – und damit meine ich jetzt das reale Befassen mit der Welt – kann aus seinem Fleck Erde Piratenland werden. Oder sogar Literaturland!

Wir haben Glück. Das Literaturland existiert bereits und ist bereist worden, ganz in echt und mit Aussicht auf unerforschtes Gebiet: Die Lesetour mit den ausgewählten Texten des Schreibwettbewerbs ist von Trogen durchs Mittel-, Hinter- und Vorderliteraturland gezogen und legt nun ihre Spuren in unseren Mittel-, Hinter- und Vorderhirnen. Und im Siegertext von Ralf Bruggmann steht einer auf dem Dach einer Telefonzelle und schaut in den Abend.

– Eva Roth