Fleisch und Zweifel

Es gab einmal einen Prinzen im Literaturland, der wollte immer schon Metzger werden. Alle Kaninchenbesitzer seines Dorfes vertrauten ihm. Er hielt die Tiere fest, brummte ihnen etwas vor, bis sie nicht mehr zappelten, betäubte sie dann mit einem kräftigen Schlag und liess ihnen das Blut aus. Später tötete er auch Schweine, Schafe, Kälber, Rinder und den kranken Hund des Nachbarn. Der Prinz machte seine Arbeit gut. Er wusste alles über Fleisch und viel darüber hinaus.

Nicht alle liebten den Prinzen dafür, Fleisch ist schwierig.

Über Fleisch im weiten Sinn gibt es viel zu schreiben, und viele haben das auch schon getan: über das Rohe, das vielleicht Unvermeidliche, über das Töten und unsere Raubtierinstinkte. Aber auch über das Fressen, Saufen, Sex, die Liebe, den Rausch und die Sehnsucht. Über Glück, Bedeutungslosigkeit und Gewalt. Seit geschrieben wird, drehen wir uns um ähnliche Themen – diese Gewissheit könnte den Impuls, überhaupt irgendetwas zu allem Geschriebenen auf der Welt hinzuzufügen, direkt in den Sand statt in die Tasten hauen und dort krepieren lassen.

Aber dann liest man über die Liebe zu Sapphos Zeiten, und dann über die Liebe heute. Und man denkt, was alles dazwischenliegen könnte und fühlt das Gleiche plötzlich vielfach.

Der Prinz Metzger wusste, wie lange man Fleisch abhängen lassen musste. Schön wäre es, wenn es auch eine Richtlinie gäbe, wie lange ein Text zu ruhen hat, bis er einem Publikum vorgesetzt werden kann. Langes Abhängen kann den Text reifen lassen, auf die Gefahr hin, dass er irgendwann jede Relevanz verliert. Aber zu früh nach aussen treten? Ich hatte schon schlaflose Nächte mit der Frage, ob ein Text schon fertig sei oder nicht. Konnte ich ihn loslassen, oder schadete ich mir damit selbst? Niemand stellt gerne die eigene Beschränktheit zur Schau…

Mir hilft in dieser Situation nur ein Gedanke: dass ich den Text, den ich in eine unberechenbare Welt hinauszuschicken gedenke, das Beste ist, was ich in diesem Moment zustande bringe. Obwohl Geschriebenes für ewig gut oder für ewig blöd sein kann: Handeln können wir schliesslich nur in der Gegenwart.

Und vielleicht sind diese Zweifel ohnehin nur zu überdecken mit Vielschreiberei, die dem einzelnen Text das Gewicht nimmt und die Autorin bzw. den Autor vor Selbstzerfleischung bewahrt.

– Eva Roth