Ausschussware

Wie viel soll ich denken beim Schreiben um des Schreibens willen, denke ich, und dass ich das Denken nur ausschalten kann, wenn das Schreibtempo das Denktempo überholt. Das setzt langsames Denken voraus, was bei mir am besten frühmorgens klappt.

Dem Trick des gedankenlosen Schreibens bin ich in einem Schreibzirkel begegnet, in dem das Sprechen über Schreibblockaden ein grösseres Ausmass annahm als die Arbeit an Texten. Der Trick geht so: morgens eine Seite schreiben, bevor der erste Sprachkontakt stattgefunden hat. Automatisch, aus dem Nebel der Nacht fischend und motorisch nie innehaltend. Ich probierte die Sache aus und erfreute mich nach einiger Zeit an einem wachsenden Müllberg, den ich auf diese Weise produzierte. Abfälle, die ich in beliebig vielen Notizbüchern platzsparend horten konnte, ohne gleich als Messie zu gelten (das Schöne am Schreiben ist ja unter anderem, dass es keinen Dreck macht). Wenn ich später in den Notizen blätterte, entdeckte ich Dinge, die ohne grösseren Zusammenhang da herumstanden bzw. -lungerten, weil sie es nie in gestaltete Texte geschafft hatten: Zum Beispiel die Maus, die sich als Laborantin tarnt und Käseproben nimmt, oder die erkältete Alte mit den eingebundenen Waden und der rosa schimmernden Nasenwand, oder auch der lauernde Kater am Ufer, dort, wo Spielzeug angespült wird.

Die Bilder des Schlafs sind schwer zu fassen, verpuffen wie Luftwalzen und lassen die Nacht nur noch als Platzhalter zwischen zwei Tagen zurück. Indem ich mich frühmorgens in einem Zustand der Unvernunft mit einer logischen Handlung wie dem Schreiben überliste, bekomme ich Zugriff auf Schrägheiten, die ich im Tagesmodus nur schwer anzapfen könnte. Zum Beispiel auf den Gedanken, dass jemand eine Neurose gegen Hosen entwickeln könnte und sagt: „Hosen tun mir leid – Hosen müssen immer so nah am Arschloch vorbei.“ (Bei Tageslicht: unterste Schublade).

Oder das Geschäftsmodell des Terrorveranstalters: alles zynischer Müll, aber macht nichts, in der Morgenschreiberei ist alles locker übereinandergeworfen, ungeordnet und anspruchslos.

Und am Abend, nach all dem Sprachkontakt, nach der Teilnahme am Alltag, nach dem zielgerichteten Handeln, dem Tageswerk? Da kommt Winterschlafstimmung auf, die Lust, sich einzugraben mit Buchvorräten und zu lesen, sich zu erfreuen an den Gedanken, die jemand kunstvoll in Form und zu etwas Grösserem gebracht hat. (Dabei kann man sich auch einmal vorstellen, wie viel Energie, wie viele Zweifel und Abstriche und wie viele Schälchen mit Salzmandeln in dem stecken, was man sich gemütlich unter der Bettdecke reinzieht.) Beim Lesen, kurz vor der Kippe in den Schlaf, hauen manchmal die Gedanken ab ins Unkontrollierte und tauchen – vielleicht – in der Morgenschreibe wieder auf wie eine Forelle, der das Leben geschenkt wurde:

In einem Restaurant stand plötzlich Wasser bis auf halbe Tischhöhe. „Salzt das Wasser, damit keine Seuchen ausbrechen!“, rief jemand, und sofort griffen alle zu den Salzstreuern.

Nur einer mahnte zur Ruhe:„Wartet damit, bis mein Fisch weg ist.“

Er nahm seine Forelle vom Teller, setzte sie neben sich ins Wasser und schaute, wie sie wegschwamm, zur Türe hinaus.

 

– Eva Roth