Widmer wandert – und liest

Bei Thomas Widmer kann man täglich wandern, zumindest mit- und weiterwandern: auf seinem Blog mit dem Titel «Widmer wandert weiter». Wer darin liest, kommt rasend schnell herum im Land, erfährt viel Kulturgeschichtliches und Anekdotisches, erfährt, wo man am besten einkehrt und wie das Wetter ist, und manchmal wird man auch auf einen literarischen Trip mitgenommen.

Wie am 27. Dezember und 16. Januar: Da berichtet Tages-Anzeiger-Journalist Widmer von seiner Lektüre des Buchs «Streng geheim» von Iris Blum über die Abtei Thelema und die Psychosophische Gesellschaft in Stein AR. Für ihn ein Stück Kindheitserinnerung, spielt doch «ein guter Teil der Geschichte dieser Gesellschaft dort, wo ich Bürger bin und aufwuchs: in Stein AR. Ich kann mich noch erinnern, wie die Einheimischen damals in den Sechzigern und Siebzigern munkelten über das Haus zur Rose, den Steiner Stützpunkt der Psychosophen.» Mitte Januar hat Widmer im Tagi das Buch besprochen, sehr lobend.

Gelegentlich ist auch das Appenzellerland, die alte Heimat, Widmers Wandergebiet. Die bislang letzte Tour führte ihn im «goldenen Herbst» auf den Gäbris und nach Trogen: «Warm war es gewesen, als wir in Zweibrücken bei Gais aus dem Zug stiegen, der Föhn blies und machte, dass die Säntiskette zum Greifen nah war. Auf dem Gäbris nahmen wir eine Siedwurst und stiegen dann ab nach Trogen; auf diesem Abschnitt zeigte sich gar die Sonne, während es im Westen der Schweiz wohl schon nass war. Herrlich auch der Abschluss der 2 1/2-stündigen Unternehmung: ein Rundgang durch Trogen, dessen zerfallende Paläste vom Reichtum der grossen Textildynastie der Zellweger bis heute zeigen. Das war einmal, wie auch das Wetter dieser Wanderung – nun sind wir mit dem Winter konfrontiert.» Für einmal scheint der Wanderer da allerdings einen allzu oberflächlichen Eindruck gewonnen  zu haben – die Paläste jedenfalls sind nicht am Zerfallen, sondern mustergültig restauriert.

Nicht mit einem Wandertext, sondern mit einer eigenen Kindheitserinnerung an Stein ist Thomas Widmer in der Appenzeller Anthologie vertreten. Dies und mehr von ihm gibt es an der Präsentation des Buchs in Zürich zu hören: Am Montag 23. Januar um 19.30 Uhr lesen in der Kassette Zürich an der Wolfbachstrasse 9 Thomas Widmer und die Innerrhoder Spoken-Word-Autorin Rosie Hörler eigene Texte; die Mit-Herausgeber Rainer Stöckli und Peter Surber führen in das Buch ein. Thomas Widmer hat in seinem Blog ebenfalls auf die Anthologie hingewiesen:

«Ich wäre überall und nirgends», eine kürzlich erschienene Appenzeller Anthologie, versammelt – so heisst es im Untertitel – literarische Texte seit 1900 und ist eine Fundgrunde: Robert Walser, Hermann Hesse, Martin Walser, Fleur Jaeggy, Helen Meier und Dutzende anderer sind berücksichtigt. Und mitten drin hat es auch etwas von mir, was ich ehrenvoll finde, aber auch unverdient. Mein Beitrag stammt von der letzten Ausserrhoder Kulturlandsgemeinde in Stein AR. Damals trug ich drei Stein-Beschreibungen vor, die sich auf die drei Orte Stein im Ausserrhodischen, im Aargauischen und im Toggenburg bezogen. Nun wieder zum Buch als Ganzes: Ich mag es, darin zu stöbern und auf Sätze zu stossen wie diese – sie wurden 1942 geschrieben und heimeln mich sowohl durch ihren Klang an als auch durch ihre Lakonie, in der sich Humor verrät: «Min Namen isch Walter Nänny. I bi am 11. November 1889 als zeht vo älf Goofe gebore. Am sebe Tag sei grad Sumart gsee. De Vatter: Schuehmacher a de Schmetgass, d Mueter isch vom Rhintel choo.»